Hannes (2021)

Unzertrennlich, schwer verwundet

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Seit früher Kindheit sind Hannes (Johannes Nussbaum) und Moritz (Leonard Scheicher) unzertrennliche Freunde. Mit ihren 19 Jahren freuten sie sich auf eine baldige Reise nach Südamerika. Doch ein Motorradausflug nach Südtirol ging schrecklich schief und nun legt sich Moritz bei seinen Klinikbesuchen neben seinen Freund, der auf der Koma-Station künstlich beatmet wird. Er wird ihm nahe sein, ihn nicht allein lassen, ihm vorlesen, für ihn Tagebuch führen. Denn Moritz glaubt fest daran, dass Hannes zurück ins Leben findet. 

Zwei Freunde, die alles zusammen machen, die auch als junge Erwachsene nicht auseinandergehen wollen, werden vom Lauf der Dinge oder schlimmer noch, wie hier vom Schicksal, ausgebremst. Davon handeln Coming-of-Age-Geschichten gerne und feiern die Intensität eines Lebensgefühls, welches nur die Jugend kennt. Glück und Tragik liegen sehr nahe beieinander in dieser Verfilmung des gleichnamigen Romans von Rita Falk. 2012 hat die Autorin der lustigen bayerischen Eberhofer-Krimis die ernste Geschichte verfasst, aus der unter der Regie von Hans Steinbichler (Das Tagebuch der Anne Frank) und nach einem Drehbuch seines Cousins Dominikus Steinbichler ein traumwandlerischer und doch punktgenau erzählender Film geworden ist. Moritz erlebt die Dinge wie im Rausch, überwältigt vom eigenen Schmerz, taumelnd oder wie ein Betrachter des eigenen Erlebens neben sich stehend. 

Die Eingangsszenen verheißen nichts Gutes, gerade weil sie durchzogen sind vom Gefühl absoluter Freiheit. Hannes und Moritz fahren in die Südtiroler Berge, eine Serpentinenstraße entlang, die Lärchen sind herbstlich gelb gefärbt. Jeder jauchzt auf seiner Maschine, man überholt sich, macht Mätzchen, streckt die Füße aus, zieht eine Schleife. Die Straße gehört den beiden. Hannes hat sich auf Moritz’ Maschine gesetzt, die manchmal nicht anspringt, weil sie nicht richtig gewartet ist. Während der Fahrt hört Moritz dann ein Geräusch hinter sich, er weiß sofort, was geschehen sein muss. Fortan lastet die Schuld schwer auf Moritz, der auch lesen wird, was Hannes über ihn in sein Tagebuch notiert hat. Moritz lasse sich treiben, packe nichts an. 

Moritz schreibt für Hannes das Tagebuch weiter, adressiert an ihn. Und übernimmt seinen Job in einem Wohnheim für psychisch Kranke, damit die Stelle nicht weg ist, wenn Hannes erwacht. Vielleicht lässt die Ordensschwester Walrika (Gabriela Maria Schmeide) den unbeholfenen Moritz nur im Heim arbeiten, weil sie Mitleid mit dem armen Kerl hat. Und auch Hannes’ Arzt Dr. Klaus (Heiner Lauterbach) beschäftigt vermutlich nicht nur das Wohl seines Patienten, wenn er Moritz als Dauergast und Bettgenosse von Hannes toleriert. Leonard Scheicher spielt Moritz als einen jungen Menschen, der nicht so recht weiß, wie ihm geschieht, der aber mit großem Mut der Erfahrung trotzt, dass er ohnehin keinen Blumentopf gewinnen kann. 

Moritz darf spontan und auf witzige Weise unbekümmert bleiben, obwohl die Lage so traurig ist. In Rückblenden, welche zeigen, wie die Freunde in aller Unschuld über die Stränge schlugen, das Leben genossen, etabliert der Film einen Schalk, den er auch weiter pflegt. Selbst auf den Komapatienten Hannes blickt die Kamera nicht immer mit pietätvoller Betroffenheit, lässt ihn vielmehr zuweilen mit seinem geöffnetem Mund wie jemanden wirken, der über sich selbst und das, was er mit seinem inneren Auge sieht, lachen kann. Ein wenig verwegen mutet auch Moritz’ ziemlich unprofessionelle Bekanntschaft mit der Heiminsassin Frau Stemmerle (Hannelore Elsner in ihrer letzten Kinorolle) an. Hannelore Elsner hinterlässt mit ihrer beschwingten Darstellung einer gebrochenen Seele einen starken Eindruck und fügt sich mit ihr kongenial in die Sprache dieses Films ein.

Die anderen Charaktere bleiben, vielleicht mit Ausnahme der patenten, mütterlichen Walrika, sehr knapp gezeichnet, auf kurze Auftritte beschränkt. In diesen sollen sie sozusagen, wie auf einem Schnappschuss oder in einem Video fürs Album, Moritz’ Umfeld atmosphärisch auf den Punkt bringen. Dass Hannes ein Baby bekommt, dass sein Vater (Nicki von Tempelhoff) Trost darin findet, für Moritz das Motorrad zu reparieren – die Inszenierung setzt auf wuchtige Momente, die dennoch nie ganz geerdet wirken. Das wilde Übermaß an Gefühl, das Moritz schultern muss, drückt sich auch in der Überhöhung aus, zu der die Bildgestaltung neigt, und in der energetischen Musik von Arne Schumann und Josef Bach. Stil und Inhalt finden bei Steinbichler gut zueinander und ergeben einen berührenden, ansprechenden Mainstream-Film mit Pepp.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/hannes-2021