Hard Powder (2019)

Unkontrollierbare Kettenreaktion

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

In seiner mit vielen schwarzhumorigen Pointen gespickten Thriller-Komödie „Einer nach dem anderen schickte der Norweger Hans Petter Moland („Erlösung) einen von Stellan Skarsgård gespielten Schneepflugfahrer auf einen Rachefeldzug mit einer verhängnisvollen Eigendynamik. Für die Hauptrolle im US-Remake seines eigenen Films konnte der Regisseur mit Liam Neeson den Mann gewinnen, der in den vergangenen Jahren wie kein anderer Hollywood-Darsteller das Themenfeld Selbstjustiz beackert hatte. Seine Besetzung mag naheliegend und sinnvoll sein, raubt dem Ganzen aber auch ein Stück Überraschungspotenzial. Immerhin wartet man im Wissen um seine Vergeltungshistorie auf der Leinwand beinahe von Anfang an darauf, dass der kantige Mime zum großen Rundumschlag ausholt.

Neeson verkörpert in Hard Powder den Schneeräumer Nels Coxman, der in einer Kleinstadt in den Rocky Mountains unaufgeregt und pflichtbewusst seiner Arbeit nachgeht. Große Worte sind seine Sache nicht, wie er offen zugibt, als er auf der Bühne steht, um sich für die Auszeichnung als Bürger des Jahres zu bedanken. Das Leben mit seiner Ehefrau Grace (Laura Dern) verläuft in ruhigen Bahnen, bis eines Tages die mit Drogen vollgepumpte Leiche ihres Sohnes (Micheál Richardson) aufgefunden wird. Der plötzliche Schicksalsschlag lässt Nels allen Lebensmut verlieren. Doch ausgerechnet in dem Moment, in dem er sich erschießen will, taucht ein verängstigter Freund des Toten auf und berichtet dem untröstlichen Vater, dass die Handlanger des Rauschgifthändlers Viking (Tom Bateman) seinen Filius ermordet hätten. Angetrieben von unbändiger Wut und tiefer Trauer macht sich Coxman nur wenig später daran, die Gangster zu bestrafen.

Wer Einer nach dem anderen kennt, weiß, dass man trotz dieser 08/15-Prämisse keine Rachestory von der Stange erwarten darf. Auch wenn der Protagonist recht unvermittelt zum wild um sich schlagenden Killer mutiert und es manchmal wenig zimperlich zur Sache geht, hebt sich Hard Powder von plumper Haudrauf-Unterhaltung im Stile der 96 Hours-Reihe spürbar ab. Immer wieder nutzt Moland die von der Hauptfigur losgetretene, rasch unkontrollierbare Gewaltspirale für satirische Beobachtungen und weckt mehrfach Erinnerungen an das ebenfalls in einer unwirtlichen Schneelandschaft angesiedelte Coen-Meisterwerk Fargo und die Filme Quentin Tarantinos, besonders dessen Frühwerk Reservoir Dogs – Wilde Hunde.

Wie schon im norwegischen Original wird jedem neuen Opfer mit einer kurzen Todesanzeige auf schwarzem Grund gedacht. Regelmäßig bremsen die Macher die Handlung aus, um absurden Alltagsgesprächen zu lauschen. Und ständig treten kuriose Gestalten auf, die allesamt lustige Spitznamen tragen. In einigen Szenen funktionieren die ironischen Brüche wunderbar. Etwa dann, wenn Nels den Kampf mit einem Kriminellen unterbrechen muss, um Luft zu holen, und plötzlich lachend neben seinem Widersacher sitzt. Oder aber, als die Mitglieder einer indigenen Drogenbande begeistert wie kleine Kinder im dichten Schnee herumtollen.

Den gelungenen Ideen steht allerdings auch eine Reihe gezwungen wirkender Pointen und Eskalationen gegenüber. Auf einigen Gags reitet das Drehbuch etwas zu oft herum. Manch witzig gemeinter, aber überflüssiger Abstecher will partout nicht zünden. Der Nebenstrang um die Provinzpolizisten Kim Dash (Emmy Rossum) und John Gipsky (John Doman) bleibt eher fad. Echter Nervenkitzel kommt nur selten auf. Und noch dazu verabschiedet der Film die nachweislich versierte Charakterdarstellerin Laura Dern einfach durch die Hintertür. Eine Verschwendung, die fast schon sträflich ist! Trotz Neesons gewohnt souveräner Performance, frostig-imposanter Landschaftsbilder und einiger amüsanter Passagen fühlt sich Hard Powder am Ende „nur“ wie eine mittelprächtige Mischung aus den erwähnten Kultstreifen Reservoir Dogs und Fargo an.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/hard-powder-2019