An den Rändern der Welt (2018)

Von den letzten indigenen Kulturen der Welt

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Seit über 30 Jahren bereist Naturfotograf Markus Mauthe Orte auf der Erde, die fernab von beliebten Touristenzielen liegen. Er mag es, die Welt in ihrer Ursprünglichkeit zu fotografieren, Menschen indigener Kulturen zu begegnen und ihre Lebensformen zu dokumentieren. Denn, darüber ist sich der Greenpeace-Aktivist bewusst, diese indigenen Lebensformen verschwinden mehr und mehr, bald wird die westliche Welt in alle Ecken unserer Erde vorgedrungen sein und dann, meint Mauthe, „ist niemand mehr übrig, von dem wir lernen können.“

Für das Projekt „An den Rändern der Welt“ war er insgesamt drei Jahre lang unterwegs, um Menschen aufzusuchen, die weitab der modernen Welt leben. Dabei hat er sich erstmals von einem Filmteam begleiten lassen. Der gleichnamige Film von Thomas Tielsch dokumentiert Mauthes Reisen zu den unterschiedlichsten Kulturen in Afrika, Südostasien und Südamerika, portraitiert den Fotografen und zeigt gleichzeitig, wie es um unsere Welt und vor allem um die entlegeneren Orte bestellt ist.

Egal ob er die Seenomaden an den Küsten Indonesiens besucht, die Menschen im Südsudan und in Äthiopien oder die Indios im brasilianischen Mato Grosso, immer wird deutlich, dass die Menschen dort unter extremen Lebensbedingungen leben. Fünf Minuten kann ein Seenomade aus dem Volk der Bajao tauchen, ohne Luft zu holen – die Menschen haben es über Jahrhunderte geschafft, sich an die unterschiedlich extremen Bedingungen anzupassen und im Einklang mit der Natur zu leben. Das Wissen um die Welt wird von Generation zu Generation weitergetragen, verliert aber in den Zeiten von Globalisierung und Landflucht an Bedeutung. 

Die Bajao wurden von der Regierung Indonesiens angehalten, sich in einer Stadt niederzulassen, also nicht mehr wie seit jeher auf Booten im und vom Ozean zu leben, sondern Abschied zu nehmen vom Nomadentum. Dadurch gerät das jahrhundertealte Gleichgewicht einer Kultur ins Wanken, zu viele Menschen leben plötzlich auf zu engem Raum, so dass sich die Bajao bald nicht mehr aus dem Meer ernähren können, weniger fischen und ihre einzigartigen Fähigkeiten verlernen werden. Der Bericht des Films ist erschütternd, zeigt er doch, wie viel der Mensch durch Fortschritt und Moderne auch kaputt machen kann. 

Ein Mann aus dem Stamm der Awá im brasilianischen Urwald berichtet davon, wie er sich von seinem Dorf in die Stadt aufgemacht hat, um ein besseres Leben zu suchen. Sein Vater war dagegen, seine Neugier aber zu groß. Gefallen hat es ihm dort nicht, er ist in sein Dorf zurückgekehrt – hat aber Grippeviren mitgebracht. Das klingt wie eine Episode aus dem Geschichtsbuch, als die weißen Entdecker Krankheiten in die indigenen Welten brachten und ganze Stämme ausrotteten. 

Immer wieder setzt Regisseur Thomas Tielsch eine Kamera-Drohne ein und zeigt neben den Interviews eindrückliche Luftaufnahmen von den Lebensräumen der portraitierten Menschen. Das macht sich auf der Kinoleinwand natürlich sehr gut, zeigt die Schönheit unserer Erde, macht aber auch einmal mehr die Extreme deutlich, die das Leben der verschiedenen Kulturen bestimmen.

Mit An den Rändern der Welt ist der Film wieder einmal wie ein Fenster in die Welt: Das Publikum begleitet den Fotografen und das Filmteam auf seiner Reise und lernt mit ihnen ganz verschiedene Kulturen der Welt, ihre Lebensformen, ihre Traditionen, ihre Ängste und ihre Träume kennen. Der Film arbeitet mit einem ausführlichen Off-Kommentar, lässt aber auch die Indigenen selbst zu Wort kommen, die berichten, wie sie sich fühlen bei all den Veränderungen, die sie miterleben. 

Besonders eindrücklich ist eine Frau aus dem Stamm der Dasanech, der am Omo-Becken in Äthiopien lebt: Selbstbewusst sagt sie vor der Kamera, dass sie das alles, die Hilfe der Weißen, nicht brauche, sondern nur ihren Fluss. Sie will in Ruhe gelassen werden von der so genannten Zivilisation und fragt: „Warum seid ihr gekommen? Warum unterhältst du dich mit mir? Wirst du der Welt von meinen Problemen berichten?“ Genau das macht Markus Mauthe, und das macht auch Regisseur Thomas Tielsch mit seinem Film.

An den Rändern der Welt ist eine Momentaufnahme des Übergangs von indigenen zu globalisierten Lebensformen. Er dokumentiert die indigenen Gemeinschaften, wie sie im Moment noch existieren, und macht gleichzeitig deutlich, dass sie bald vergessen sein, aussterben werden. Die Menschen, die diesen Übergang gerade miterleben, versuchen wieder, sich anzupassen und das Beste aus ihrer Situation zu machen. Die einen schotten sich ab, die anderen versuchen, selbst ein Stück vom materiellen Kuchen abzubekommen. Fotograf Markus Mauthe wünscht ihnen dabei nur eines: „Dass die Leute es schaffen, diese Traditionen in die Moderne zu bringen, ohne sie dabei auf der Strecke zu lassen.“

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/an-den-raendern-der-welt-2018