Carmen & Lola (2018)

Junge Liebe und alte Traditionen

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Die queere Liebesgeschichte „Carmen & Lola“ der in Bilbao geborenen Drehbuchautorin und Regisseurin Arantxa Echevarría feierte 2018 in Cannes im Rahmen der Quinzaine des Réalisateurs ihre Premiere. Dass ihr dort nicht die gebührende Aufmerksamkeit zuteilwurde, mag an dem großen Medieninteresse liegen, das zur selben Zeit Wanuri Kahius Rafiki in der Sektion Un Certain Regard erregte. Beide Werke erzählen von zwei jungen Frauen, die sich zueinander hingezogen fühlen, dies jedoch vor ihren Familien verbergen müssen.

Trotz diverser narrativer Gemeinsamkeiten sind Carmen & Lola und Rafiki allerdings zwei Werke, die ihre ganz eigenen Stärken haben, da sie die gängige Prämisse einer vom Umfeld verbotenen Liebe jeweils mit einer präzisen Schilderung des Milieus verbinden, in welchem das Geschehen verortet ist. So gibt uns Echevarría einen Einblick in die Roma-Community in Madrid; sie fängt deren Arbeitsalltag und deren Sitten ein. Im Zentrum stehen dabei die beiden titelgebenden Jugendlichen.

Lola (Zaira Romero) ist 16 Jahre alt und lebt mit ihrem Vater Paco (Moreno Borja), ihrer Mutter Flor (Rafaela León) sowie ihrem jüngeren Bruder Miguel (Lucas Heredia) in einer kleinen Wohnung. Ihre Eltern können weder lesen noch schreiben; sie besucht indes die Schule und möchte später studieren. Auf dem Markt, auf dem ihre Familie Gemüse verkauft, lernt sie die 17-jährige Carmen (Rosy Rodríguez) kennen, deren Familie dort unter anderem Schmuck anbietet. Carmen führt seit einiger Zeit eine heimliche Beziehung mit Lolas Cousin – und lässt sich nun ganz offiziell mit dem Segen beider Väter verloben. Während Lola sowohl in der Nachbarschaft als auch unter ihren Verwandten als „seltsam“ gilt, weil sie sich nichts aus Männern zu machen scheint, fügt sich Carmen zunächst weitgehend in die von ihr erwartete Rolle. Doch bald muss sie begreifen, wie stark ihre Gefühle für Lola sind.

Beide Hauptfiguren werden in ihrer Art und in ihren Entwicklungen spannungsreich gezeichnet. Die künstlerisch veranlagte Lola, die ihre inneren Zustände auch mal durch Graffiti zum Ausdruck bringt, geht einen recht klassischen Coming-of-Age-Weg. Sie nutzt das Internetcafé für virtuelle Entdeckungen und hat bereits erkannt, dass sie Frauen liebt und somit das Dasein, das ihre Eltern für sie vorsehen, keine Option für sie ist. Großartig ist die Courage, die sie in Situationen der emotionalen Konfrontation an den Tag legt: Als ihre völlig entsetzte Mutter einen Hinweis darauf findet, dass ihre Tochter lesbisch ist, ist Lola nicht bereit zu lügen und sich selbst zu verleugnen, um einen Konflikt zu vermeiden. Ebenso wagt sie in ihrer Annäherung an Carmen immer wieder eindeutige Schritte, obwohl sie befürchten muss, zurückgewiesen und verletzt zu werden. Carmen wiederum muss erst ihre eigenen Vorurteile, ihre anerzogene Homophobie überwinden, ehe sie sich auf Lola einlassen kann.

Zaira Romero und Rosy Rodríguez spielen ihre Parts sehr überzeugend. Wie (fast) alle Cast-Mitglieder standen die beiden zum ersten Mal für einen Film vor der Kamera. Abgesehen von Carolina Yuste, die Lolas etwas ältere Freundin und Mentorin Paqui verkörpert, agieren in Carmen & Lola nur Leute, die tatsächlich in der dargestellten Roma-Community leben. Diese kluge Besetzungsentscheidung trägt dazu bei, dass der Film eine glaubhafte Anmutung hat. Echevarría selbst nennt den realistisch-naturalistischen Ansatz der belgischen Dardenne-Brüder (Rosetta, Der Sohn) als Vorbild. Im letzten Drittel begeben sich das Skript und die Inszenierung dann zwar doch auf allzu melodramatische Pfade; die Handlung spitzt sich etwas zu abrupt zu und findet in den Schlusseinstellungen eine vergleichsweise klischeehafte Auflösung. Insgesamt ist Carmen & Lola aber eine erfreulich authentisch wirkende Geschichte über die Selbstermächtigung zweier Frauen und über deren aufkeimende Liebe zueinander.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/carmen-lola-2018