Verachtung (2018)

Bilsenkraut und kalter Kaffee

Eine Filmkritik von Falk Straub

Seit 1997 schreibt der Däne Jussi Adler-Olsen Kriminalromane. Zehn Jahre später gelang ihm mit Erbarmen der Durchbruch. Mittlerweile bringt es die Reihe um die Ermittler vom Kopenhagener Sonderdezernat Q auf acht Titel; der jüngste davon kommt im Oktober 2019 auf den deutschen Markt. Adler-Olsens Erfolgsrezept ist simpel: ein mürrischer Kommissar, sein feinfühliger Assistent und ihre ordnende Sekretärin rollen alte Fälle wieder auf. So politisch wie dieses Mal ging es dabei noch nie zu.

Ein wenig Gesellschaftskritik wohnt freilich schon dem Ermittlerteam inne. Die Spürnasen sitzen nicht ohne Grund im Unterbau des Polizeipräsidiums. Dort lagern nur Akten und Angestellte, von denen niemand (mehr) etwas wissen will. Von ihren Kollegen werden sie hinter ihrem Rücken wahlweise als „Kellerasseln“ oder als „der Araber und der Säufer“ verspottet. Fürs Trinken ist der dauergrantelnde Carl Mørck (Nikolaj Lie Kaas) zuständig. Seine Zwangsversetzung ist auch im übertragenen Sinn ein Abstieg. Kollege Assad (Fares Fares), der zuvor Dienst in der Registratur schob, begreift die neue Stelle indes als Aufstiegschance. Die bietet sich in der nunmehr vierten Verfilmung auch ihrer Sekretärin Rose (Johanne Louise Schmidt), die sich erstmals im Feld beweisen darf.

Die Rate, mit der im hohen Norden gemordet wird, ist mittlerweile auch den Figuren suspekt. Polizeichef Marcus Jacobsen (Søren Pilmark) kommentiert die jüngste makabre Verrücktheit mit einem Augenzwinkern. In einer unscheinbaren Altbauwohnung sitzen drei mumifizierte Leichen fein säuberlich um einen Tisch drapiert, ihre Genitalien in Einmachgläsern vor sich, daneben das Kaffeeservice. Ein vierter Stuhl ist frei. Der leere Platz führt schnell zum Arzt Curt Wad (Anders Hove), der die größte Fortpflanzungsklinik des Landes betreibt, in der Vergangenheit aber noch ganz andere Dinge (ab)getrieben hat.

Nach Mikkel Nørgaard, der die ersten beiden Umsetzungen Erbarmen (2013) und Schändung (2014) verantwortete, und Hans Petter Moland, der bei Erlösung (2016) auf dem Regiestuhl saß, ist nun Christoffer Boe dran. Der gewann mit seinem Spielfilmdebüt Reconstruction 2003 immerhin die Caméra d’Or in Cannes. Wirklich Neues fügt er der Krimireihe aber nicht hinzu, weil er sich mehr an seinen Vorgängern orientiert, als ihr seine eigene Handschrift zu verpassen.

Wie viele Nordic Noir setzen auch die Adler-Olsen-Adaptionen auf grausame Morde, düstere Sets in fahlen, entsättigten Farben, dunkel dräuende Musik und eruptive Gewaltausbrüche. Wenn Boe gleich zu Beginn Frank Sinatras Summer Wind über einen verregneten Strand im Jahr 1961 legt, scheint es kurz so, als könnte dieses Mal alles anders werden. Doch schnell verläuft der Rest in vertrautem Fahrwasser. Zurück im Kopenhagen der Gegenwart gibt sich Mørck mürrisch. Nach fünf gemeinsamen Jahren wechselt Assad die Abteilung. Das mit Bilsenkraut dahingeraffte Kaffeekränzchen wird ihr letzter Fall und führt sie zu einem Komplott, das bis in den Staat und an die Schalthebel der Gesellschaft reicht.

Das Drehbuch, an dem dieses Mal neben Nikolaj Arcel auch Nørgaard und Bo Hr. Hansen mitgeschrieben haben, breitet die Mischung aus historischen Fakten und verschwörungstheoriegeschwängerter Fiktion im gewohnten Wechsel der Zeitebenen aus. Abermals liegt des Rätsels Lösung tief in der Vergangenheit, abermals fügt sich das Puzzle ganz gemächlich zusammen und abermals weiß das Publikum vor den Ermittlern Bescheid. Auch Verachtung ist nur einen Wimpernschlag lang ein Whodunit. Trotz manch doppelbödigem Spiel ist die Rollenverteilung früh klar. Der Großteil der Spannung speist sich in dieser Reihe also ein weiteres Mal nicht aus der Frage nach dem Täter, sondern nach dessen Motiv – und aus der Frage, ob es rechtzeitig gelingt, ihn dingfest zu machen, bevor noch Schlimmeres geschieht.

Ging es in Erbarmen um ein Einzelschicksal, klangen schon in Schändung kritische Töne gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen an. Hier mordete der Nachwuchs einer gelangweilte Elite. In Erlösung hielten Sekten als Hort allen Übels her. In Verachtung verquicken Adler-Olsen und die Drehbuchschreiber der Adaption nun ein dunkles Kapitel der sozialdemokratischen dänischen Nachkriegsgeschichte mit den Allmachtsfantasien der Neuen Rechten. Aus dem (Irr)Glauben an einen linken Wohlfahrtstaat ist eine rechte „Graswurzelbewegung aus der Hölle“ geworden, wie es ein Whistleblower nennt. Die abscheuliche Idee dahinter ist das Furchteinflößendste an diesem Film, der ästhetisch nicht zwingend auf die große Leinwand drängt. Für Krimifans nicht mehr als kalter Kaffee.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/verachtung-2018