Womit haben wir das verdient? (2018)

Meine Tochter trägt Kopftuch

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Eigentlich sitzen Wanda (Caroline Peters) und ihr Ex-Mann Harald (Simon Schwarz) bei der Therapeutin, um mit ihrer pubertierenden Tochter Nina (Chantal Zitzenbacher) zu sprechen. Aber Nina kommt scheinbar nicht, die Erwachsenen schweigen sich entweder an oder geben sich gegenseitig die Schuld für Ninas Komasaufen und Kiffen. Dann klingelt es – und Nina steht im Raum. Sie trägt ein Kopftuch und verkündet, dass sie zum Islam konvertiert ist, fortan halal leben und Fatima genannt werden will. Anfangs halten Wanda und Harald es für einen Scherz, aber schon bald müssen sie erkennen, dass es ihrer Tochter wohl doch ernst ist.

Es ist eine reizvolle Grundidee, dass frauens- und friedensbewegte Eltern auf einmal mit einer Tochter konfrontiert werden, die zum Islam konvertiert ist. Wanda und Harald haben für Frauenrechte, gegen Rassismus und den Kapitalismus demonstriert, sie glauben an die Freiheit und fühlen sich in den jeweiligen Patchwork-Familien trotz aller Schwierigkeiten und Diskussionen über Grenzverletzungen der jeweiligen Ex-Partner wohl. In der Überzeichnung dieses Milieus funktioniert Womit haben wir das verdient? auch wunderbar: Da ist Wandas neuer Partner, gleichermaßen fürsorglich wie sorglos, oder Haralds wesentlich spießigere Freundin Sissy (Hilde Dalik), die schwanger ist und an die Kleinfamilie glaubt. Oder auch Wandas beste Freundin Elke (Pia Hierzegger), die alles amüsiert, aber nicht zynisch beobachtet. Gemeinsam haben sie sich in ihren Leben gut eingerichtet, das vergangene WG-Leben hat sie zusammengeschweißt und sie halten die Ideale von damals weiterhin hoch – trotz aller bürgerlich-saturierten Gemütlichkeit. Hierzu finden sich viele kleine, spitze Beobachtungen. Dann zeigen sich bei aller Toleranz und Offenheit gerade bei Wanda in dem Verhalten gegenüber ihrer Tochter helikoptermutterartige Züge – und dass mit der Entscheidung, ein Kopftuch zu tragen, definitiv die Toleranzgrenze überschritten ist.

Ninas Konversion zum Islam stellt also die ultimative Konfrontation dar: Die Tochter einer Feministin wählt eine Religion, die im Westen mit Frauenfeindlichkeit und Unterdrückung assoziiert wird. Natürlich will die atheistische Wanda wissen, warum Nina das tut. Nahezu verzweifelt sucht sie nach Antworten, was mal lustig ist – beispielsweise wenn sie vor einer Beratungsstelle auf einer Bank sitzt und über ihr die Schilder nach rechts für Rechtsextremismus und links für Islamismus weisen –, aber eben auch zu slapstickartigen Einlagen führt, die schlichtweg überzogen sind.

Vor allem aber ist Nina selbst hier keine Hilfe: Bei Nachfragen über die Regeln, die sie nun einhalten will, verweist Nina lediglich auf das Internet als Informationsquelle, sie begründet auch ihre Entscheidung nicht oder sucht auf irgendeine Art das Gespräch mit ihrer Mutter. Dadurch erscheint ihre Entscheidung sehr lange tatsächlich als trotzige Teenager-Rebellion – zumal ihr Schulleiter dann noch eine mögliche Erklärung liefert, dass Nina und ihre Freundin Maryam (Duygu Arslan) sich solidarisch mit einer Mitschülerin zeigen wollen. Und darüber hinaus bleibt auch das Gespräch über den Islam weitgehend auf YouTube-Videos und Diskussionen zwischen Nina und Wanda begrenzt.

Erst mit Maryam kommt eine muslimische Figur hinzu, deren Mutter Hanife (Alev Irmak) sich ebenfalls an der Entscheidung ihrer Tochter stößt, ein Kopftuch zu tragen. Hier kommen nun wenigstens leise Facetten hinzu, aber beide bleiben eindeutig Nebenrollen, so dass über den Islam und über die Entscheidung für oder gegen das Kopftuch vor allem aus weißer Perspektive verhandelt wird. Das könnte immerhin als Anlass genutzt werden, darauf hinzuweisen, dass es „white feminism“ eben nicht nur in den USA gibt, sondern auch in Deutschland und Europa. Auch wird immerhin erwähnt, dass das Kopftuch für Maryam andere Konsequenzen hat als für Nina und wollen sie einmal zu einer intersektionalen Feminismusveranstaltung gehen, aber darüber hinaus hat vor allem Hanife die Funktion, Wanda – und damit dem Publikum – die Vielfalt des Islam zu zeigen. Das führt auch zu der besten Szene des Films, in der Nina ihre Mutter in der Moschee im Gespräch mit anderen muslimischen Frauen entdeckt, sie dafür anmotzt und von den anwesenden Frauen zurechtgewiesen wird. Hier ist tatsächlich mal im Bild die Vielseitigkeit des Islam zu erkennen. Aber letztlich bleibt der Film bei Nina, die dann auch zu der Demonstration am Ende aufruft – fast wie eine weiße Retterin.

Als Culture-Clash-Komödie oder überhaupt als Komödie funktioniert der Film daher leider wenig, er ist letztlich zu überfrachtet mit Intentionen und Andeutungen: Islam als Protest, unterschiedliche Toleranzkonzepte, Religion als Rebellion, das Frauenbild verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen von ganz rechts bis links oder auch das Funktionieren von Patchwork-Familien stehen nebeneinander und ergeben letztlich kein stimmiges Gesamtbild. Denn letztlich läuft alles darauf hinaus, dass es einfacher wäre, wenn die Menschen mehr miteinander reden würden – in der Familie, in der Gesellschaft. Deshalb ist es am Ende vor allem der guten Besetzung – insbesondere Caroline Peters und Simon Schwarz als in vielerlei Hinsicht überfordertes Elternpaar – zu verdanken, dass man dem Treiben auf der Leinwand folgt. Doch noch mit dem wunderbaren Schlusslied wird einem auch vor Augen geführt, dass deutlich mehr möglich gewesen wäre, wäre die originelle Grundidee konsequent ausgeführt worden.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/womit-haben-wir-das-verdient-2018