Once Upon a Time in Hollywood (2019)

Die Summe aller Bilder

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der Schauspieler Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) und sein Freund, Chauffeur und persönlicher Stuntman Cliff Booth (Brad Pitt) leben in Los Angeles im Herzen der Filmindustrie und sind doch beide auf ihre eigene Weise Außenseiter. Die Karriere des einen (Dalton) versandet in größeren und kleineren Rollen bei Fernsehserien und neigt sich dem Ende entgegen, der andere (Booth) hat sein Schicksal nach einer düsteren Vergangenheit – angeblich soll er seine Frau umgebracht haben – an die Laufbahn von Dalton gehängt, versucht aber nicht, in die gleiche Panik wie sein Freund zu verfallen.

Wir schreiben das Jahr 1969, es steht jener Sommer bevor, als der Mord an Sharon Tate und anderen Opfern durch die Manson Family Hollywood und die Welt erschütterte und der Summer of Love sein jähes Ende fand. Gemeinsam mit Dalton und Booth durchschreitet Once Upon a Time … in Hollywood in drei klar benannten Tagen (der letzte ist der Tag des Mordes, der 9. August 1969) das Leben der beiden Randfiguren und behauptet eine Nähe zu den realen Ereignissen, die vor allem darauf fußt, dass Daltons Haus direkt neben dem Anwesen von Sharon Tate und Roman Polanski am 10050 Cielo Drive liegt, wo die Schreckenstat geschah.

Doch bis der Film auf dieses Ende zusteuert und damit auf die Frage (die an dieser Stelle natürlich nicht beantwortet werden wird), wie sich Tarantino dieser realen Begebenheit wohl annimmt, lässt sich der Film, der fast drei Stunden lang geraten ist, enorm viel Zeit, um in unzähligen kleinen Szenen, Vignetten und Einschüben vom alten Hollywood zu erzählen, von windigen Agenten (Al Pacino als reine Karikatur), durchgeknallten Hippie-Mädchen, schleimigen TV-Moderatoren, für die sich das Wort Journalist schon aus Gründen der Hygiene verbietet, von großen Hoffnungen und noch größeren Enttäuschungen, von Stars, die es geschafft haben (wie etwa Sharon Tate und Roman Polanski, die bei aller zentralen Bedeutung für den Film lediglich am Rande auftauchen), manischen Sektenführern (James Marsden hat als Charlie Manson genau einen Auftritt) und Losern, die lediglich mal in Glanz und Glorie der Filmwelt schnuppern dürfen, um dann gnadenlos wiederausgespuckt zu werden.

Quentin Tarantinos neuen Film in seiner Summe zu beschreiben, ist nahezu ein Ding der Unmöglichkeit: Er ist Sittenbild und nostalgischer Abgesang, Aufarbeitung und Glorifizierung, ein übervoller Zitatenschatz und reinster Pastiche, der munter Fakten und Fiktionen miteinander mischt und mitunter virtuos damit jongliert, Bromance und großes Drama, Komödie und detailverliebte Rekonstruktion einer vergangenen Zeit und eines Lebensgefühls, immer mit einem Augenzwinkern versehen und dabei doch die Genese einer Tragödie, mit der die Hippie-Ära und womöglich auch das Hollywood des alten Schlages ihr zumindest gefühltes Ende erreichten. Was nach einer Quadratur des Kreises klingt, gestaltet sich deshalb auch schwierig, und es ist zu vermuten, dass jedem anderen Regisseur außer Quentin Tarantino solch ein Husarenstück krachend um die Ohren geflogen wäre. 

Tarantino aber gelingt es auf gewohnt souveräne Art und Weise, das Nichts zu tarnen, um das herum sein Film gruppiert ist: Gewohnt spritzig perlen die Dialoge ins Publikum, das dankbar jede Pointe annimmt, die Kombination von Musik (vor allem zwei Coverversionen von California Dreaming von The Mamas and the Papas und Baby, you’re out of time von den Rolling Stones stechen hier heraus) und der detailverliebten Ausstattung, die fließende Eleganz der Kamera, die unvergleichlichen Spannungsmomente und der grimmige Humor, mit dem Tarantino seine Welt erbaut, sind nach wie vor so typisch und gekonnt eingesetzt, dass man mit diesem Film durchaus seinen Spaß haben kann. 

Quentin Tarantinos neuer Film hat seine Momente – und es sind in der Summe gar nicht so wenige: Wenn Rick Dalton etwa am Set eines Films auf eine beeindruckend zielstrebige achtjährige Nachwuchsdarstellerin trifft, die ihn später mit ihrer altklugen Art die wohl beste Leistung seiner Karriere abtrotzen wird, dann wird dieser Mann, der einer unsicheren Zukunft entgegengeht, plötzlich in all seiner Verletzlichkeit sichtbar. Solche Highlights finden sich immer wieder, dazwischen aber liegt eine weniger sicht- als vielmehr spürbare Leere, die womöglich daran liegt, dass der Film um ein unsichtbares Zentrum kreist, das Tarantino als Leerstelle begreift. Die Tate-LaBianca-Morde sind so monströs und so jenseits alles Darstellbaren, dass selbst ein Filmemacher mit einer derart großen Affinität zu Gewaltdarstellungen vor ihnen kapitulieren muss und sich mehr schlecht als recht aus der Affäre zieht.

Von den Bildern her (Kamera: Robert Richardon) erinnert Once Upon a Time … in Hollywood an Paul Thomas Andersons zeitlich ähnlich verorteten Inherent Vice: Sanfte, sonnendurchflutete Gold- und Ockertöne und stimmungsvolle Nachtaufnahmen evozieren die Illusion eines endlosen Sommers in einem Kalifornien, in dem es angeblich nie regnet. Noch mehr fühlt man sich zugleich aber an dessen Boogie Nights erinnert – auch der ist ja ein Abgesang auf eine Epoche der Filmbranche (wenngleich dort vor allem adult movies eine Rolle spielten).

Ein Märchen, so deutet es der Filmtitel an, will Once Upon a Time … in Hollywood sein. Wenn aber die Realität – und das ist gerade in unserer verrückten Gegenwart zu sehen – die Fiktion in ihrer Abgründigkeit um Längen schlägt, wirken Märchen nur noch wie eine Beruhigungspille und hinterlassen einen schalen Nachgeschmack. Zumal die Nostalgie, von der Tarantino sichtbar infiziert ist, ein Hollywood beschreibt, dass es heute angesichts des disruptiven Wandels in der Filmwelt schon lange nicht mehr gibt – und das es vermutlich auch nie gegeben hat.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/once-upon-a-time-in-hollywood-2019