Das Prinzip Montessori - Die Lust am Selber-Lernen (2017)

Selber Sehen

Eine Filmkritik von Simon Hauck

„Selber machen!“ Jeder, der Kinder hat, kennt diesen lauthals formulierten Urwillen des eigenen Nachwuchses. Tausendfach gehört, nicht selten verbunden zugleich mit einem lachenden und einem weinenden Auge, vor allem dann, wenn Mama oder Papa wieder mal guten Willens von außen in den komplexesten Bereich des Leben eingreifen wollen: den des permanenten Lernens. Und der Sohn oder die Tochter eben genau dagegen partout etwas hat...

Bis heute existieren unzählige Methoden, Techniken und pädagogische Ansätze, um diesen essentiellen Prozess im Leben eines jeden jungen Menschen so schnell und so nachhaltig wie nur möglich beginnen und weiter unterstützen zu können. Und auch im zeitgenössischen Kinodokumentarfilm ist es in der Zwischenzeit zur Mode geworden, quasi jeder populären pädagogischen Denkrichtung sowie jedem eher unkonventionellen Lehr- und Lernmodell einen eigenen Film (z.B. Berg Fidel – Die Schule für alle oder Schule, Schule – Die Zeit nach Berg Fidel) zu widmen: vom Kindergartenalter bis zum Abitur und von alternativen Notensystemen (Berlin Rebel High School) bis hin zur Waldorf-Langzeitdokumentation (Auf meinem Weg). 

Im Falle von Alexandre Mourots puristischer Dokumentarfilmstudie Das Prinzip Montessori – Die Lust am Selber-Lernen geht es nun, wie der Titel bereits klar macht, um die reformpädagogischen Ideen Maria Montessoris (1870 – 1952). Deren weitreichende Lehr- und Lernkonzepte als eigenwillige Ärztin, Philosophin und Philantropin erfreuen sich gerade bei Eltern von Kindern im Vorschulalter und im allgemeinen nicht nur in Deutschland zunehmender Beliebtheit. „Hilf mir, es selbst zu tun“ oder „Eine vorbereitete Umgebung und der vorbereitete Erzieher / Lehrer sind das praktische Fundament unserer Erziehung“ lauten nur zwei häufig zitierte Lehrsätze der „Montessori“-Pädagogik, die parallel in Fachtagungen und Kongressen immer wieder breit diskutiert werden. 

Denn: Wer leitet hier wen (an)? Was treibt die Kinder überhaupt von sich aus zum Lernen wie Ausprobieren an? Und wie lässt sich dieses komplexe Ideenkonzept sinnvoll zwischen Kind und Erzieher in die Tat umsetzen? Spätestens seit den 1970ern Jahren haben sich Maria Montessoris wegweisende „Learning-by-doing“-Konzepte vor allem in den europäischen Staaten stark verbreitet und die Wartelisten für Kindergärten und Einrichtungen, die mit ihren Ideen arbeiten, haben oft genug lange Wartelisten. Es muss also zwangläufig etwas dran sein an jener „Montessori“-Erziehung: Nur was genau? Und wie lässt sich das filmisch überhaupt jemandem vermitteln, der kein Erziehungsexperte ist? 

Wer nun bei Das Prinzip Montessori – Die Lust am Selber-Machen einen halbbiografischen, halbpädagogischen Portrait- oder Lehrfilm zur Gründerin der so genannten „Montessori“-Kinderhäuser erwartet oder generell mehr zu den Vor- und Nachteilen dieses Erziehungsprinzips erfahren möchte, sitzt an dieser Stelle im völlig falschen Film. Denn neben ein paar kurzen Schwarzweiß-Archiv-Aufnahmen und gefühlt endlosen Montessori-Zitaten aus dem Off, hat sich der ehemalige Ingenieur Mourot – selbst Vater einer Tochter –als Regisseur gegen klassische Experten-O-Töne, Schautafeln, Grafiken oder Animationen entschieden. 

Sozusagen im Selbstexperiment hat er sich als Filmemacher wie junger Vater über ein Jahr lang das tägliche Geschehen in Frankreichs ältestem „Montessori“-Kinderhaus („Jeanne D’Arc“) in Roubaix angesehen und mit der Kamera selbst begleitet: Puristisch, nahezu stumm, mit großer Tiefenschärfe und starkem Weitwinkelobjektiv, was in den ersten Minuten von Das Prinzip Montessori – Die Lust am Selber-Machen eine faszinierende „Mitten-im-Raum-sitzen“-Atmosphäre kreiert. 

Mourots eigene, insgesamt recht monotone Bild- und Tongestaltung reicht zwar dabei nicht an erstklassige Referenzfilme wie Miss Kiet’s Children heran, macht jedoch einige Grundideen Montessoris für den Zuschauer zu Beginn durchaus anschaulich. Das mal mühsame, mal luftig leichte Lernen-Lernen von Léa, Valentine, Charlie oder Agathe mit ihrem Lehrer Christian Maréchal wird in den besten Momenten dieses ausgesprochen spröde inszenierten Dokumentarfilms immer wieder mal greifbar: Egal ob beim Brot backen, Auf- und Zuknöpfen, Rechnen, Ein- und Ausgießen oder den ersten Leseversuchen. 

Zugegeben: Die „Arbeiten“, wie Maria Montessori das zu Beginn des 20. Jahrhunderts nannte, sind in diesem traditionsreichen Kinderhaus in der Nähe von Lille an der französisch-belgischen Grenze in der Tat sehr vielfältig. Vieles, was man dort sieht, macht nicht nur den etwa 30 drei- bis sechsjährigen Kindern sichtlich Freude, sondern weckt auch beim Publikum automatisch eine gewisse Neugierde. 

Nur die für Kleinkinder so zentralen Tätigkeiten wie Schlafen, Turnen oder Essen finden in Mourots Einstellungen leider kaum einen Platz. Und noch schlimmer: Jede Art von Konflikt wird scheinbar ausgeblendet. Wirklich alles scheint hier unentwegt im Fluss zu sein und Probleme haben nur die anderen (z.B. Vorschulen, Kindergärten, Horte und Co.), was doch gelinde gesagt irritiert. Und so bleibt dieser thematisch an sich hochrelevante, jedoch arg brav und deutlich zu unkritisch inszenierte Dokumentarfilm am Ende doch ein klassischer Themenabend-Film für kulturelle Spartensender. Mehr nicht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/das-prinzip-montessori-die-lust-am-selber-lernen-2017