Ein Gauner und Gentleman (2018)

Mit Hirn, Charme und Pistole

Eine Filmkritik von Falk Straub

Wo andere Regisseure auf die Pauke hauen, schlägt David Lowery leise Töne an – egal ob er eine Gangsterballade („Ain't Them Bodies Saints“), ein Familienabenteuer („Elliot, der Drache“) oder eine Geistergeschichte („A Ghost Story“) vorträgt. Auch in seinem jüngsten Werk „Ein Gauner & Gentleman“ macht der Independentfilmer vieles anders als erwartet, ganz ähnlich wie sein Protagonist.

Forrest Tucker (Robert Redford) hat stets ein Lächeln und ein Kompliment auf den Lippen. Er lächelt, wenn er Zufallsbekanntschaft Jewel (wunderbar: Sissy Spacek) nach einer Autopanne in sein Lieblingscafé einlädt und wenn er, mal im Alleingang, mal gemeinsam mit seinen Kumpanen Teddy (Danny Glover) und Waller (Tom Waits), eine Bank überfällt. Der Gesichtsausdruck ist echt, Tucker ist glücklich. Falsch ist nur der Knopf im Ohr, den man für ein Hörgerät halten könnte, mit dem der alte Recke aber in Wirklichkeit den Polizeifunk abhört. Stets schick gekleidet und höflich erleichtert Tucker Anfang der 1980er-Jahre ein Geldinstitut nach dem anderen, 60 an der Zahl, von Behörden und Medien unbemerkt.

Robert Redford hat seinen Rückzug aus dem Filmgeschäft angekündigt. Forrest Tucker soll seine letzte Rolle sein, und es ist augenscheinlich, was dem 1936 geborenen Schauspieler und Freigeist an dieser Figur gefällt. Den Berufsverbrecher und Serienausbrecher, der die Polizei ein ums andere Mal narrte, hat es wirklich gegeben. Seine letzten Tage verbrachte der 2004 verstorbene Ganove im Knast. Ein Jahr davor schrieb Journalist David Grann Tuckers Geschichte unter dem Titel The Old Man & the Gun für den New Yorker auf. Die Überschrift hatte Grann bei Ernest Hemingways Der alte Mann und das Meer entlehnt. Redfords Film hat sich wiederum an Granns Artikel bedient. Die deutsche Übersetzung trifft es derweil fast noch besser. Weitaus mehr als auf seine Knarre verlässt sich Tucker nämlich auf seine guten Manieren.

Mit David Lowery, den Redford von seinem Sundance Filmfestival und durch die Zusammenarbeit an Elliot, der Drache (2016) kennt, hat er den perfekten Regisseur und Drehbuchautor für seinen (voraussichtlich) letzten großen Leinwandauftritt gefunden. Als Tuckers Gegenspieler holte Lowery einen anderen alten Bekannten mit dazu. Casey Affleck, der schon in Ain't Them Bodies Saints (2013) und A Ghost Story (2017) für Lowery vor der Kamera stand, spielt den Polizisten John Hunt. Der staunt nicht schlecht, als Tucker & Co. eine Bank vor seiner Nase ausnehmen, ohne dass er oder sein Sohn Tyler (Teagan Johnson) etwas davon mitbekämen. Afflecks Gesichtsausdruck ist unbezahlbar.

Lowery erzählt seine Geschichte gewohnt gemächlich und gegen den Strich. Tuckers Waffe, die der alte Gauner niemals zieht, sondern den Bankangestellten lediglich zeigt, bekommt das Kinopublikum bei den Überfällen nie zu Gesicht. Den größten Coup des Trios, von Hunt auf den Namen „Altherrengang“ (im Original: „Over-the-Hill-Gang”) getauft, spart der Film komplett aus, schildert nur das Davor und Danach. Und auch das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Hunt und Tucker verläuft nie in den gewohnten Genrebahnen.

Hunt gibt sich nur anfangs besessen, mutiert nicht zum Fanatiker, der seine Familie dem Beruf opfert. Wie das Publikum sympathisiert er schnell mit dem alten Charmeur, dem es nicht darum geht, mit dem erbeuteten Geld seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern sich lebendig zu fühlen. Tuckers und Hunts Beziehung ist von gegenseitigem Respekt und einer beinahe keuschen Zärtlichkeit geprägt, wie sie der Gentleman auch bei Jewel an den Tag legt. Der Showdown zwischen dem Jäger und Gejagten geht folgerichtig nicht in einer Bank oder auf der Flucht, sondern ganz beiläufig auf einer Toilette über die Bühne.

Ein Gauner & Gentleman ist Entschleunigung pur, nostalgisches Kino aus einer anderen Epoche. Lowery hat seinen Film auf 16mm-Material gedreht und mit einem sanften Jazz-Soundtrack versehen. Joe Andersons mal grobkörnige, mal Chiaroscuro-eske Breitwandaufnahmen lassen eine längst vergangene Zeit wieder auferstehen, in der noch nicht jede Bank videoüberwacht, panzerglasgeschützt und schwerbewaffnet war. Mit den hypernervösen Schnittgewittern und blutigen Bleiorgien der Gegenwart haben Tuckers Überfälle und Lowerys Inszenierung nichts zu tun, aber auch kaum etwas mit der nervenaufreibenden Hochgeschwindigkeit eines Bullitt (1968), French Connection (1971) oder Asphaltrennen (1971), den sich Tucker und Jewel im Kino ansehen.

Lowery entführt sein Publikum in seinen ganz eigenen filmischen Kosmos, der eng mit Redfords Filmografie verknüpft ist. In eine kleine Montagesequenz über Tuckers erfolgreiche Ausbrüche webt Lowery eine Szene aus Ein Mann wird gejagt (1966) ein. Redfords Tucker hat weniger mit dem echten gemein, ist vielmehr ein filmisches Amalgam all der freiheitsliebenden, lebensbejahenden Rebellen aus der beinahe 60-jährigen Karriere des Hollywoodstars. Ein Gentlemangangster, wie ihn das Kino liebt und wie gemacht für Robert Redford, der selbst mit mächtig Falten um die Augen mehr Charme verströmt als seine austauschbaren Epigonen. Die Leinwand wird ihn vermissen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/ein-gauner-und-gentleman-2018