Yung (2018)

Real-Life-Schulmädchenreport

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Der Anfang: Eine Schülerin im Regen. Sie steigt in ein Auto. "Wie war dein Tag in der Schule?", fragt der Fahrer, und "Was hast du am Wochenende gemacht?" Das könnten die Fragen eines Vaters sein – sind aber die Smalltalk-Versuche eines Freiers, der so alt wie Jajanas Opa sein könnte. Und wir sind mittendrin in der Parallelwelt dieser hedonistischen Schülerinnen, Jajana und ihrer drei Freundinnen, die endlos Party machen könnten, sich die unterschiedlichsten Drogen reinziehen und beim Sex nicht wählerisch sind. Finanziert durch Gelegenheitsprostitution, Sex-Chat und Dealen: Ein Leben, das dem Spaß gewidmet ist, dem Allzeithoch, das nie enden soll.

Henning Gronkowski war lange selbst Teil dieser Clubbing-Subkultur, er hat sich wieder hineinversetzt, hat mit Jugendlichen gesprochen, hat sich vier ausgesucht, die mehr oder weniger sich selbst spielen: Verifiziert wird das durch eingeschobene Interviewszenen, in denen die Darstellerinnen (oder doch ihre Figuren) über ihr Leben reden. Gibt es ein Leben nach 30? Wie hoch ist das Risiko, abhängig zu werden? Abhängig wovon, by the way? Welche Drogen wofür – und welcher Sex mit wem?

Eine Handlung im wirklichen Sinn gibt es nicht.  Braucht es auch nicht. Wir folgen den Vieren durch die Nacht und ihre Tage, erleben ihre Freundschaft, ihr intensives Leben mit. Mit dem Film tauchen wir ein in ihre Welt, eine Welt, von der der Normalmensch wenig ahnt. Die meisten Bezeichnungen diverser Drogen haben mir ehrlicherweise nichts gesagt … Schon krass in der S-Bahn, sagen sie einmal, morgens sitzen da all die, die zur Arbeit fahren, in ihren geregelten Tag, und wir kommen gerade von der Party und gehen dann direkt in die Schule …

Eine lange, beinahe explizite Sexszene gibt es zwischen zwei der Freundinnen, es ist ein Ausprobieren, vielleicht auch tatsächlich so etwas wie Verliebtsein. Später sehen wir eine der beiden eine andere knutschen, sie wird dabei beobachtet, das könnte der Beginn eines kleinen Eifersuchtsdramas werden – wird es aber nicht. Denn Gronkowski vermeidet geschickt Ansätze eines konventionellen Plots, alles ist im Loop, alles geht immer weiter, das ist die Philosophie der Freundinnen. Eine von ihnen hat einen Cousin, gibt ihm die Wochenmission, mit Abby zu schlafen – auch das wird nicht ausgebaut, und wenn es dann dazu kommt, dann ganz anders als gedacht. Denn dieser Cousin, Tyrell, zunächst eingeführt als Neuling der Szene und trotz seiner Jugend in den ihm gewidmeten Interviews reichlich abgeklärt, wird dann doch restlos desavouiert.

Dieser energiereiche Trip von Film ist eben nicht nur eine oberflächliche Betrachtung oberflächlicher Teenies, sondern filmisch, dramaturgisch erstaunlich geschickt und subtil konstruiert – gerade in seiner Umgehung der üblichen Standards. Denn das wäre unseren vier wilden Protagonistinnen ganz und gar nicht angemessen.

Die Vier leben in den Tag; und sind zugleich durchaus reflexiv: Sie wissen um das Risiko, sie wissen um die Selbstzerstörung, die sie betreiben, aber zumindest in ihrer Wahrnehmung haben sie's im Griff – zumindest schon allein deshalb, weil ihnen Risiko und Selbstzerstörung bewusst ist. Und dann, irgendwann, gelingt Gronkowksi eine wirklich berührende Sequenz: Die Protagonistinnen in ihren Wohnzimmern, zusammen mit ihren (tatsächlichen) Familien, und damit sind wir in der anderen Parallelwelt, jenseits von Techno und Party und Highsein – aber wahrscheinlich nicht für lange.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/yung-2018