Egal was kommt (2018)

Von der Freiheit, um die Welt zu reisen

Eine Filmkritik von Falk Straub

Neue Medien suchen auch immer das Neue. Oft liegt es in der Ferne. Die Brüder Auguste und Louis Lumière schickten ihre Kameraleute nicht nur auf einen Bahnsteig oder vor die Tore ihrer Fabrik, sondern rund um die Welt, um wie zuvor die Fotografie fremde Länder und Kulturen zu den Menschen nach Hause zu bringen. Später holte das Fernsehen die Welt ins Wohnzimmer. Angesichts immer günstigerer Produktionsmittel scheint es nur konsequent, dass nach den Hobbyfotografen mit ihren Diavorträgen nun auch die Hobbyfilmer einem breiteren Publikum ihre Reiseabenteuer vermitteln.

Fernsehjournalist Christian Vogel ist so einer. Früh war er mit dem Reisefieber infiziert. Rucksacktouren durch Brasilien, Argentinien und Paraguay, durch Australien, Singapur, Malaysia, Thailand und Kambodscha hat er bereits hinter sich, als er im Mai 2015 sein Motorrad für seinen bislang größten Trip sattelt. Von Florida geht es quer durch die Vereinigten Staaten, Kanada und Alaska, weiter in die Mongolei, über Russland, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und China nach Indien und Pakistan und über den Iran und die Türkei schließlich zurück nach Europa bis an Portugals Küste. Die europäischen Strecken sind Christian Vogel vertraut. Einen Großteil des Kontinents hatte er schon zuvor auf zwei Rädern befahren. Und doch ist vieles neu. Wie er einen Reifen wechselt, muss er vor dem Start ebenso mühsam lernen wie, sich im Notfall selbst zu verarzten.

Vogels Vorbereitung ist akribisch, sein Budget spartanisch. 300 Kilogramm wiegen Motorrad und Gepäck. Mehr als 1000 Euro pro Monat hat er nicht in der Tasche. Die kleinen, am Bike angebrachten Action-Kameras liefern beeindruckende Bilder, übertragen das Fahrgefühl in den Kinosaal. Was nicht auf Film gebannt ist, fangen kurze, schön animierte Sequenzen auf. Ein Mann, seine Maschine und die Straße. Die Freiheit, die sich Vogel von seinem Abenteuer verspricht, in diesen Momenten ist sie greifbar.

Doch schnell wird klar, dass es ohne Hilfe nicht geht. Mal wegen Vogels Naivität, mal wegen seiner Selbstüberschätzung. Nach 29 Minuten liegt er das erste Mal am Boden. Schwer keuchend richtet er sein Gefährt auf. „Okay, okay, fuck!“, beruhigt er sich selbst. Es ist eben jene Szene, mit der der Film einstieg, um Spannung zu erzeugen. Nun ist der Zusammenhang klar. Der Protagonist ist nach vier Monaten in der Mongolei angekommen, bleibt auf dem schwierigen Untergrund immer wieder stecken. Ohne eine freundliche Nomadenfamilie, die sein Zweirad aus dem Dreck zieht, auf ihren Lastwagen hievt und mit Vogel ihre Jurte teilt, wäre die Reise bereits hier zu Ende gewesen. Später baut er in Indien einen Unfall, muss auf Ersatzteile und eine Operation seines verletzten Handgelenks warten. Ohne Unterstützung von Eltern und Freundin wäre auch hier Schluss.

„Losgefahren bin ich allein. Wieder angekommen bin ich dank anderer“, ist die große wie banale Erkenntnis dieser Tour. Sie erzählt auch von der Hilfsbereitschaft Wildfremder und von der Liebe zwischen Christian Vogel und seiner Freundin Miriam, die neben seinen Eltern in Interviews zu Wort kommt. Dadurch ist Egal was kommt einem Dokumentarfilm deutlich näher als manch andere filmische Expedition, die in den vergangenen Jahren in die Kinos kam. Letztlich ist aber auch Vogels Unternehmung eher ein „sehr persönlich gehaltenes bewegtes Reisetagebuch“, wie Joachim Kurz den Film Pedal the World treffend in seiner Kritik bezeichnete.

Wie dieser und vergleichbare deutschsprachige Werke – von Camino de Santiago über WEIT bis Expedition Happiness – leidet auch Egal was kommt an seiner subjektiven Sicht und einem Übermaß an Bildern. Aus der Erzählperspektive macht Vogel noch das Beste, wenn er als Kommentator aus dem Off durchaus selbstkritisch mit sich ins Gericht geht. Dann gesteht er sich ein, dass er sich übernommen und mehr Glück als Verstand hat. Der schieren Materialmasse wird er hingegen nicht Herr.

Gemeinsam mit Jörn Möllenkamp, Bernd Rischner und 600 Stunden Filmaufnahmen hat sich der Regisseur an den Schneidetisch gesetzt. 100 Tage später hat er daraus 121 Minuten destilliert. Trotz der beachtlichen Länge wirkt das Ergebnis gehetzt und zugleich redundant. Landschaft jagt Landschaft, Reisebekanntschaft folgt auf Reisebekanntschaft. Und weil Vogel vornehmlich bei Motorradbegeisterten unterkommt, drehen sich die Gespräche schnell im Kreis. Gerade die Kulturen, die der unseren fremd erscheinen, kommen hingegen kaum zu Wort, fliegen wie Postkartenansichten vorbei. Einmal spricht ein Pakistani darüber, dass er Weltreisende gern bei sich beherbergt, weil er selbst nicht um die Welt reisen kann. Es ist einer der wenigen Momente, in denen Egal was kommt nicht um seinen Protagonisten kreist und in denen er eine Ahnung davon vermittelt, welches Luxusgut Freiheit – persönliche wie finanzielle – andernorts ist.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/egal-was-kommt-2018