Petting statt Pershing (2018)

Der miefige Charme der 1980er Jahre

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Es ist das Jahr 1983 und die westdeutsche Provinz döst, von den wilden 1968ern nie richtig wachgeküsst, im Dornröschenschlaf. Nur Ursulas (Anna Florkowski) Sinne und Verstand sind hellwach, die 17-Jährige schwärmt für Albert Camus, registriert die eheliche Frustration ihrer Mutter (Christina Große) und will unbedingt ihre Jungfräulichkeit verlieren. Doch Ursula ist pummelig, wird in der Klasse verspottet, von den Eltern wegen ihres liederlichen Tagebuchs beschimpft. Dennoch ist Ursula offenbar nicht nur das wehrlose, benachteiligte Mädchen vom Lande, sie zieht einen Körper in einem Sack übers Feld und hat eine Menge Wut im Bauch. 

Diese merkwürdige Manifestation krimineller Energie wird erst später im Film aufgeklärt, sie hat etwas mit Eduard Zimmermanns TV-Sendung Aktenzeichen XY … ungelöst zu tun, die Ursulas Fantasie beschäftigt. Zu jenem Zeitpunkt hat sich das Spielfilm-Regiedebüt der Drehbuchautorin Petra Lüschow (Tannöd) schon längst von einer Charakterstudie in eine Hommage an die frühen 1980er Jahre verwandelt. Nicht der so verheißungsvoll präsentierten Ursula, die von der Newcomerin Anna Florkowski grandios gespielt wird, gilt in Wirklichkeit das Interesse der Komödie. Die Jugendliche mutiert schnell zu einer Art Showmasterin, die durch eine Welt führt, in der die Ausstattung, die Musik, Stichworte und Gesten mehr Aussagekraft besitzen als die einzelnen Personen. 

Ursulas trautes Elternhaus ist durchgestylt im brauntönig-kühlen Chic der 1970er Jahre. Mama Inge, die gelangweilte Teilzeit-Handarbeitslehrerin, drapiert die Zutaten der Abendbrotplatte zu kleinen Kunstwerken im Mondrian-Stil, was allerdings nur Ursula auffällt. Vater Helmut (Thorsten Merten), der kirchlich engagierte Hausarzt, ist gedanklich schon wieder bei seiner Geliebten, Ursulas Sportlehrerin Karin Teichert (Barbara Philipp). Bezeichnenderweise kann sich Inge nur mit kreativen Basteleien ausdrücken, und so hängt sie ihre titelgebenden Abschiedsworte als eigenwillige Stoffkunst an die häusliche Wand, um dann mit ihrem Koffer das Weite zu suchen.

Doch just in diesem Moment erscheint ihr eine Messiasfigur, die die Liebe in ihr einsames Leben bringt und sie folglich zum Bleiben bewegt. Es ist der neue Lehrer Siegfried Grimm (Florian Stetter), ein junger, friedensbewegter Womanizer, der auch schon der armen Ursula den Kopf verdreht hat. Nun verteilt die Schülerin Flugblätter, die zur Demo in Mutlangen aufrufen und nimmt den Slogan „Petting statt Pershing“ sehr persönlich. Der Bauernhof, auf dem Siegfried mit seiner kleinen Kommune wohnt, übt eine magische Anziehungskraft auf Ursula aus. Dort erforschen Frauen in Seminaren ihren Körper, wird mit Vollkorn gebacken und Siegfried praktiziert die offene Beziehung. Ursula ist Feuer und Flamme für seine Ideen, muss aber auch entdecken, dass sich Siegfried mit ihrer Mutter und mit der doofen Sportlehrerin trifft.

Der Humor steckt in diesem Film im Detail, in kleinen Szenen, in denen Ursula wieder einmal die Schuld gegeben wird für die Missetaten anderer. Das kluge Mädchen wird zum Besuch der Hauswirtschaftsschule verdonnert und mit dem Nähen von „Applikationen“ gequält. Es muss aber auch Sätze formulieren wie: „Opa, was hast du in der Nazi-Zeit gemacht?“ Großvater Wilhelm (Hermann Beyer) gehört, wie auch zum Beispiel Ursulas merkwürdig konturlose Halbfreundin Isabell (Zoe Moore), zu jenen Nebencharakteren, die die Handlung eher uninspiriert bevölkern.

Mit der Zeit bekommt die in bittersüßer Nostalgie schwelgende Geschichte einen stickigen Beigeschmack. Der generelle Mangel an Tempo und Spannung wird offenkundig, während sich die Handlung unschlüssig in weiteren Schleifen verliert. Die filmische Retro-Party fällt ein bisschen dem eigenen Dekorationseifer zum Opfer, der verkennt, dass die Art, wie das Knabberzeug angeordnet ist, noch keine mitreißende Stimmung garantiert.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/petting-statt-pershing-2018