Krakatit

Der gefährlichste Sprengstoff

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Prokop (Karel Höger), seines Zeichens Chemiker und Erfinder des verheerendsten Sprengstoffs der Welt, wird bei einem Laborunfall übel verletzt und läuft desorientiert durch die nächtlichen Straßen von Prag. In seinem Schwebezustand zwischen Traum und Wachsein trifft er auf seinen alten Studienfreund Tomeš (Frantisek Smolik), der sich seiner annimmt. Allerdings auch seines Geheimnisses von der Entwicklung einer Atombombe, mit unvorstellbarem Gewaltpotential: Krakatit!

Bald schon sind Spione hinter Prokop her, um an die geheime Formel zu gelangen. Sie bieten ihm Geld an, viel Geld, aber trotz seines wissenschaftlichen Ehrgeizes bekommt Prokop moralische Bedenken, denn er will nicht den Wohlstand weniger auf Kosten vieler mehren. Das wäre nämlich der Fall, wenn seine Entwicklung in die falschen Hände geraten würde. Vor allem eine Gruppe Adeliger ist äußerst interessiert an der Formel, denn sie könnte mit der destruktiven Chemie – oder besser gesagt der Atombombe - ihre Macht festigen und ausweiten. 

Wie in einem frühen James-Bond-Film gerät Prokop in die Fänge von schönen Frauen, allen voran eine zauberhafte Prinzessin (Florence Marlyová), die in Seide gehüllt und mit Edelsteinen verziert ist. Letztendlich will aber auch sie nur an die Formel ran. Der arme Prokop lässt sich nun doch von den Mächtigen des Landes einspannen, da sie ihm ein bestens ausgestattetes Labor zur Verfügung stellen. Der Traum jedes Wissenschaftlers. Als ihm jedoch klar wird, dass seine Auftraggeber tatsächlich einen internationalen Krieg heraufbeschwören, bekommt er dann doch Gewissensbisse. Jedoch die Geister, die er rief, wird er nicht mehr los …

Was 1924, dem Erscheinungsjahr der Romanvorlage von Krakatit (vom tschechischen Autor Karel Čapek, dessen deutsche Übersetzung von 1950 auf Projekt Gutenberg zu finden ist), wie eine Science-Fiction-Geschichte wirkte, war 1948, dem Produktionsjahr des Films, bereits traurige Realität geworden: die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki mit etwa 100.000 Toten – die späteren Nebenwirkungen mit Todesfolge nicht eingerechnet. Dass sich der tschechische Regisseur Otakar Vávra relativ kurz nach diesem GAU der Menschheit der Verfilmung des literarischen Stoffs angenommen hat, scheint also in der Historie begründet. Dass der Autor Čapek jedoch zu so einem frühen Zeitpunkt diese schreckliche Zukunftsvision entwickelt hat, ist wirklich bemerkenswert. Denn die Forschung an der Atombombe durch Oppenheimer, Einstein & Co fand erst Mitte der 1930er Jahre statt. Aber vielleicht hatte sich Čapek durch den Roman The World Set Free (deutsch Befreite Welt) von H. G. Wells aus dem Jahr 1914 inspirieren lassen, der darin den Begriff atomic bomb kreierte und die verheerenden Folgen aufzeigte, die der Einsatz dieser (damals noch fiktiven) Waffen mit sich bringen würde. 

Otakar Vávra hat sich auf jeden Fall dem Thema angemessen genähert, indem er einen äußerst spannenden Thriller in expressionistischen Bildern mit äußerster Symbolkraft gedreht hat. Krakatit ist eine wahrlich künstlerische und ausgefallene Arbeit geworden, die Züge des Film noir trägt und bisweilen an Der dritte Mann erinnert (was vor allem an den weit aufgerissenen Augen des Hauptdarstellers Karel Höger liegt, der damit wie ein Zwillingsbruder von Orson Welles aussieht) oder an Das Cabinet des Dr. Caligari (was an dem expressionistischen Szenenbild und den sehr unkonventionellen Kameraeinstellungen liegt). Krakatit kann als ein Filmjuwel betrachtet werden, das anspruchsvoll vom Inhalt und in der Umsetzung ist. Vor allem die immer wieder auftretenden Absencen des Hauptdarstellers und seine Phasen des Deliriums sind fantasievoll und kreativ umgesetzt. Surrealistisch oder expressionistisch und stellenweise wie gemalt muten die Bilder an, die den Zuschauer durch die bizarre Traum- und Wachwelt von Prokop führen. Die Vor- und Rückblenden, mit denen der Film arbeitet und die düstere Kulisse von Prag tun ihr Übriges, um diese knapp 100 Minuten nicht nur für Studierende der Filmwissenschaften zu einem überaus sehenswerten Filmerlebnis der besonderen Art werden zu lassen. Er ist eine Parabel auf das Böse im Menschen und eine klare Gesellschaftskritik gegen die herrschende Klasse, die – im Zweifel auch mit Krieg – ihren Status beibehalten will. Regisseur Vávra hat auch Jahre später das Thema offensichtlich nicht losgelassen, denn er hat 1980 das Remake Temné slunce (Schwarze Sonne) gedreht, das allerdings neben seinem früheren Film verblasst. 

Die jetzt erschienene DVD Krakatit (der Name leitet sich vom indonesischen Vulkan Krakatau ab) ist nicht nur die deutsche DVD-Premiere, sondern eine neu restaurierte Fassung mit der original DEFA-Kinosynchronfassung, die als Extras eine Einführung zum Film mit Texttafeln und einigen Filmstils bietet. Alles in allem also eine runde Sache, lediglich das DVD-Cover ist nicht ganz so gelungen und es gibt leider keine englische Synchronfassung oder englischen Untertitel.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/krakatit