La traversée (2018)

Tour durch France

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Es ist 2018, ist das große Gedenkjahr: 50 Jahre nach den Studentenprotesten 1968 hat Cannes so einige ihrer prominenten Vertreter im Programm. Nach Jean-Luc Godards Wettbewerbsbeitrag Le Livre D’Image, der mehr Kunstinstallation als tatsächlicher Film war und trotz der Antäuschung genuschelter tiefgreifender Gedanken doch keinen einzigen weiterbringenden zur Lage der Welt äußern konnte, nach dieser Enttäuschung also, zeigt das Festival außer Konkurrenz Daniel Cohn-Bendits Dokumentarfilm "La Traversée", der das mit den Gedanken zur Lage der Welt schon einmal besser macht.

Der ehemalige Europapolitiker der Grünen mit der doppelten Staatsbürgerschaft (deutsch und französisch) reist gemeinsam mit einem Kameramann und dem Regisseur Romain Goupil durch sein Geburtsland Frankreich. Es ist das Jahr 2017, Emmanuel Macron wurde soeben zum Präsidenten gewählt, doch das Land ist tief gespalten. Die französische Bevölkerung hat Existenzängste, fürchtet Überfremdung und glaubt zunehmend Rechtspopulisten. Warum das so ist, wollen die drei Männer herausfinden. 

Sie besuchen deshalb Milchbauern, denen nach einem Protestbrief an einen Großkonzern über niedrige Abnahmepreise der Vertrag gekündigt wurde und die nun auf kleinerer Ebene mit regionalen Abnehmern zu überleben versuchen. Sie besuchen einen Schweinezüchter, der von 1000 Euro im Monat lebt. Sie sprechen mit Werftarbeitern und Bauern über die Arbeit der Gewerkschaften. Und sie besuchen Krankenhäuser und reden mit den Assistenzärzten und Krankenschwester über die Verantwortung über Leben und Tod, wenn man vom eigenen Lohn kaum Miete und Essen bezahlen kann. 

Der Ansatz von Cohn-Bendit und Goupil ist klar ökonomisch. Ihre Frage nach der Unzufriedenheit der Franzosen zielt immer auf das Einkommen und die sozialen Standards ab. Und um die, das zeigt ihre Rundreise, steht es nicht gut. Der Mittelstand ist auch in Frankreich zunehmend abgebaut, wer einer geregelten Arbeit nachgeht, kann damit kaum seine Familie versorgen. Das allein ist noch kein Anlass, sich den rechten Populisten anzuschließen, aber hier finden sie die Grundlage, dass deren Gedanken auf fruchtbaren Boden fallen können.

Dementsprechend ergibt es auch Sinn, dass sie im letzten Drittel des Dokumentarfilms den unterschiedlichen rechten Bewegungen selbst einen Besuch abstatten. Da ist der rechte Stammtisch, der sich in einem abgelegenen Restaurant trifft und zu seinen Überzeugungen, „den Front National oder noch weiter rechts zu wählen“, auch vor der Kamera steht. Da ist der Politiker, der früher ein Trotzkist war, nun jedoch für den Front National als Bürgermeister gewählt wurde.

Muss man mit den Rechten reden? Muss man ihnen ein Sprachrohr bieten? Darüber diskutieren die Kommentatoren in Tageszeitungen seit Jahren. Hier würde es sehr interessieren, welche Antworten Cohn-Bendit und Goupil auf ihre Fragen bekommen. Allein, es ist einfach immer zu viel Cohn-Bendit im Bild. Denn irgendwie soll das ja auch ein Roadmovie mit ihm sein. Goupil hat diese zweite Ebene ganz bewusst zwischen die Stationen geschoben. Er lässt sich vom Kameramann filmen, wie er Cohn-Bendit filmt, wie der Auto fährt. Das wäre als authentisches Element noch hinnehmbar, um die Recherchearbeit transparenter zu machen. Goupil überspannt diesen Bogen dann aber. Im Versuch, die Meta-Ebene noch auszuweiten, lässt er sich in einem Café vom Kameramann dabei filmen, wie er Cohn-Bendit filmt, wie der mit ihm darüber diskutiert, wie man für den Film am besten das Interview mit Emmanuel Macron aufnehmen könnte – während Emmanuel Macron am Kopfende des kleinen Caféhaus-Tisches zwischen den beiden sitzt und vom einem zum anderen schaut. Bei so viel Meta steigt man als Zuschauer dann irgendwie aus.

Und auch ansonsten scheitern einige interessante Gesprächsansätze konsequent daran, dass Cohn-Bendit viel dazwischenredet und seine Gegenüber gar nicht erst aussprechen lässt. Da kommt zu sehr der Politiker durch, der sich in politischen Diskussionen mit seinem Standpunkt durchsetzen musste, der laut ist, um seiner Stimme Gehör zu verschaffen. Für einige der Interviews ist das bedauerlich. 

Zudem hätte man sich hier gewünscht, wenn schon diese beiden Männer sich für einen Dokumentarfilm zusammentun und sich so in den Vordergrund stellen, dass sie dann ihre eigene Rolle reflektieren. Immerhin haben beide in ebenjener Studentenrevolte 1968 eine prominente Rolle gespielt und positionieren sich auch heute noch, im Gegensatz zu anderen Mitgliedern jener linken Bewegungen, in einem linken Parteispektrum. Welche Ideen und Lösungsansätze dieses den Rechtspopulisten entgegensetzen könnte, hätte man hier gern erfahren, Zeit genug wäre dafür bei zwei Stunden und 19 Minuten gewesen. La Traversée belässt es aber leider bei einem Mosaik zum Status quo der französischen Arbeiter. 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/la-traversee-2018