Girl (2018)

Trans*formationen

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Lara (Viktor Polster) ist 16 Jahre alt, hat langes, blondes Haar und weiche runde Lippen. Sie ist gerade nach Brüssel gekommen. Mit ihrem Vater und ihrem kleinen Bruder, denn hier wird sie am Konservatorium weiter zur Ballerina ausgebildet. In 8 Wochen, muss sie zeigen, was sie draufhat. 8 Wochen, in denen sie beweisen muss, dass sie ihre Transformation bewältigen kann. Und dass ihre Füße es auch können. Denn ihre Füße kennen das Ballett nur auf eine Art: als Balletttänzer.

Lara, früher Viktor, ist transgender und muss nicht nur ein neues Leben in Brüssel und in die Rolle der Ballerina finden, sondern auch zu sich und ihrer bevorstehenden geschlechtsanpassenden Operation. Endlich kann sie Hormone nehmen, die anfangen, ihren Körper auf ihre eigentliche Gender-Rolle anzupassen. Und dann in 2 Jahren, wenn alles gut geht, wird eine geschlechtsangleichende Operation auch endlich den verhassten Penis beseitigen, den Lara jeden Tag an ihren Körper tapt. Denn vor allem beim Ballett, noch dazu unter ebenfalls pubertierenden Mädchen, soll dieser auf keinen Fall zu sehen sein. 

Lukas Dhonts Erstlingswerk Girl ist ein ruhiges und sanftes Werk, das seiner ebenfalls sehr stillen, sanften Hauptfigur allen Freiraum gibt, sie selbst zu sein und sich langsam, aber beständig zu entwickeln. Und darum geht es in diesem Film, der sich nicht für Voyeurismus oder Drama interessiert. Vielmehr will Girl ehrlich und empathisch auf Laras Leben und Situation blicken, ohne dabei gängige Klischees über trans* Menschen zu bedienen. Und so geht es eigentlich um eine junge Frau in der Pubertät – ein Zustand, der eh schon kompliziert genug ist –, die aber in doppelter Hinsicht zu kämpfen hat. Denn nicht nur ist ihr Körper noch nicht angepasst und erinnert Lara jeden Tag daran, dass sie nicht die ist, die sie sein will, es ist auch ihre Leidenschaft fürs Ballett, die sie doppelt erinnert. Denn zum einen ist ihre Ausbildung bisher eine andere gewesen, sie muss also viel aufholen und vor allem ihre Füße komplett neu trainieren und formen. Zum anderen gibt es nur wenige Künste, die so sehr auf eine spezifische Art von Weiblichkeit bestehen, die Lara jetzt auch noch einzuhalten versuchen muss.

Doch das Mädchen ist hart im Nehmen. Zu hart für den Geschmack ihres Vaters, der sieht, wie sehr sie ihren Körper quält, um ihn mit eisernem Willen zu formen. Mit viel Feingefühl und einem guten Blick für die kleinen Gesten und Moment, die manchmal eine ganze Welt bedeuten, arbeitet Girl die Feinheiten dieser Trans*formationen heraus und versucht dabei eindeutig, eine empathische Verbindung mit dem Publikum herzustellen, das aller Wahrscheinlichkeit nach nicht allzu viel von den Schwierigkeiten – auf physischer und psychischer Ebene – weiß. Dies gelingt ganz hervorragend, vor allem danke Viktor Polsters sensiblem Spiel.

Doch trotzdem ist auch dieser Film ein Beispiel für die noch immer hochgradig komplizierte Gemengelage in Sachen Repräsentation von trans* Menschen. Dass Lara von einem cisgender Mann gespielt wird, ist dabei nur auf den ersten Blick ein Problem, denn dies geschah nicht durch Ignoranz. Im Gegenteil, Dhonts Casting war völlig genderunspezifisch, gern hätte er tatsächlich eine trans* Person besetzt, aber er fand niemanden mit Ballettausbildung oder nur Erfahrung. Umso mehr hat sich die Produktion dann bemüht, die Darstellung nicht nur akkurat und medizinisch korrekt zu gestalten, sondern auch die Erfahrungen von trans* Menschen einzubringen, so gut es eben geht. Ein guter Anfang, der Sensibilität, vor allem für die eigene (eingeschränkte) Sicht zeigt, gerade wenn man wie dieser Film Vermittlungsarbeit leisten will. Und siehe da, es gelingt, wenn man sich wirklich darum bemüht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/girl-2018