The Dark (2018)

Von der Toten und dem Blinden

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Am Anfang und am Ende liegt die Straße – der Weg in den Wald oder der Weg aus dem Wald zurück. Justin P. Langes Debüt "The Dark" erzählt eine Geschichte von Rückkehr und Aufbruch zugleich: Ein untotes Mädchen und ein zur Blindheit verstümmelter Junge treffen in einem Wald aufeinander. Sie ist auf ihrem Weg zurück zu den Lebenden, er auf der Flucht vor seinen Peinigern. Einander geben sie sich die Sicherheit und Nähe, die ihnen die Welt sonst nicht gewährt. Dem Motiv der jugendlichen Nähe jenseits der Grenzen des Menschlichen und Nicht-Menschlichen kann der Film dabei aber kaum eine neue Wendung verleihen.

The Dark beginnt mit einer Flucht: Ein Herr mittlerer Jahre, verfolgt von der Polizei, sucht Zuflucht in einem verlassenen Haus, ausgerechnet in jenem Waldabschnitt, der für seine übernatürlichen und schrecklichen Ereignissen berüchtigt ist. So erweist sich auch das Gefühl der Zuflucht im verfallenen Haus schnell als Irrtum: Mina (Nadia Alexander), ein Mädchen mit eingefallenen Augen und rottend-zerschnittenem Gesicht, wohnt dort und lässt keine Eindringlinge zu. Doch als sie im Kofferraum des Mannes einen Jungen (Toby Nichols) mit vernarbten Augen entdeckt, in panischer Angst vor dem, was die Komplizen seines Entführers seiner Familie antun könnten, bietet sie ihm ihre Hilfe an.

Gemeinsam fliehen die beiden vor der Polizei, vor der diffusen Angst des Jungen, Schreckliches könnte ihm und seiner Familie zustoßen, sollte er jemals in die Welt zurückkehren. Gleichzeitig erzählen Rückblenden von Minas Geschichte: Opfer eines Verbrechens, verscharrt im Wald, kehrte sie eines Tages zurück, um Rache zu üben. Beide sind gefangen in ihrer Zwischenwelt, im Wald auf der Grenze von Leben und Tod, Flucht und Zuflucht.

Die gegenläufigen Geschichten der Jugendlichen sind zwei Versuche einer Rückkehr in ein Leben, das sie einst hatten, das ihnen unter Gewalt entrissen wurde und das sie nie wieder zurückerlangen können. Die Rückkehr erweist sich als Aufbruch und genau im Moment dieses Umschlagens treffen zwei Menschen aufeinander, angezogen vom anderen, um sich schließlich in entgegengesetzte Richtungen wieder abzustoßen.

Ein Film wie Låt den rätte komma in (Let the Right One In, 2008), der sich als Vergleich aufdrängt, nutzt dieses Setting meisterhaft, um von der unmöglichen und zugleich unendlichen Liebe zu erzählen, die in einem kleinen Spalt außerhalb der Zeit möglich wird. The Dark allerdings kann kaum eigene und neuen Ideen für eben diese Prämisse entwickeln. Zu statisch erscheint die Welt, in der die beiden Jugendlichen aufeinandertreffen, zu klar sind die Grenzen zur äußeren Welt, zur Welt des Alltags und der Erwachsenen. Der Zwischenraum des Waldes, verwuchert und verfallen, hat ein eindeutiges Ende und dient einem eindeutigen Zweck.

Während der Film wechselweise die Geschichten der Jugendlichen erzählt, um die beiden dann in eine ungewisse Zukunft zu schicken, ist jederzeit allzu klar, welche Konstellation dadurch schematisch hergestellt wird. Statt seinen Zwischenraum als solchen zu nutzen und die geheimnisvolle Macht des Außermenschlichen mit dem Menschlichen zusammenzuführen, um etwas darüber zu erfahren, was es heißt, einander Nähe und Sicherheit zu geben, interessiert der Film sich vor allem für die konventionellen Erzählungen von Missbrauch und Leid, die er wenig innovativ seinem Setting überstülpt. Es bleibt der Eindruck, alle Bilder und Ideen des Films bereits oft – und oft besser – gesehen zu haben. The Dark verpasst es, den vielfältigen Wegen, die seine Geschichte anbietet, auch zu folgen – stattdessen bleibt er auf einer Straße, deren Ziel ungewiss sein mag, deren Richtung aber jederzeit eindeutig ist.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-dark-2018