Messer im Herz (2018)

Todeslust

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der Mörder trägt eine furchterregende Latexmaske und führt einen Dildo aus dem gleichen Material mit sich, in den eine scharfe Klinge eingelassen ist, die nach Bedarf ausgefahren werden kann. Aus dem Lust- wird ein Mordwerkzeug, das das Opfer buchstäblich ins Jenseits fickt – eine, wie man sich vorstellen kann, überaus blutige Angelegenheit. Und angekündigt wird sein Kommen stets durch einen schwarzen Vogel, der wie eine Krähe aussieht, der aber seltsam weiß schimmernde Augen hat. Und als wäre das noch nicht bizarr genug, folgen auch seine Opfer einem sehr eng gefassten Muster: Sie verbindet miteinander, dass sie Darsteller in den Schwulenpornos der Pariser Produzentin Anne (Vanessa Paradis) sind.

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Normalerweise würde solch eine Häufung von Todesfällen in der unmittelbaren Umgebung ja jeden Menschen in Angst und Schrecken versetzen, doch Anne fühlt sich eher noch inspiriert von den Taten und verarbeitet die Morde in einem neuen Meta-Film namens „Homocidal“ (na, Witz verstanden?), der die Ermittlungen der Polizei, durchbrochen von Sexszenen, auf die Leinwand bringt. Doch es ist nicht nur die Neugier und die Erregung durch die Mischung aus Sex und Gewalt, die Anne antreibt, sondern auch die bröckelnde Beziehung zu ihrer Cutterin und Ex-Liebhaberin Loïs (Kate Moran), die die dem Alkohol verfallene Frau antreibt. Doch der Mörder ist den realen wie fiktiven Ermittlungen stets einen Schritt voraus …

Im Jahr 2013 feierte Yann Gonzalez mit Begegnungen nach Mitternacht / Les rencontres d'après minuit seine Spielfilmpremiere noch in der Semaine de la Critique, sein zweiter Langfilm hat ihn 2018 direkt in den Wettbewerb des Filmfestivals in Cannes befördert. Gut möglich, dass hier auch ein gewisser Heimvorteil eine Rolle spielt, denn geboren wurde der Regisseur 1977 im benachbarten Nizza.

Vieles erinnert in Un couteau dans le coeur an Brian De Palma (insbesondere die tiefenpsychologischen Ansätze, die durchaus an Dressed to Kill denken lassen, in mehr als nur einer Szene wirkt Vanessa Paradis auch wie ein Abziehbild von Angie Dickinson), an italienische Gialli und ganz allgemein an das (queere) Trash-Kino der 1970er Jahre, in denen der Film auch angesiedelt ist. Aus diesen und ähnlichen Quellen speiste sich bereits auch Gonzalez‘ Vorgänger, hier aber weitet er den Blick von der abstrakten Versuchsanordnung in einem eng begrenzten Raum hin zu einem Sittenbild einer bestimmten Epoche, das durchaus gelungen versucht, die Atmosphäre eines ganz bestimmten Milieus zu neuem Leben zu erwecken. Sein Film ist ein Balanceakt zwischen Fantasie, Perversion und Realität, mit viel Lust an der Übertreibung, die bisweilen so überbordend ist, dass man zwischen der Trashigkeit der gezeigten Film-im-Film-Exzerpte und der eigentlichen Handlung häufig nicht so recht unterscheiden kann.

Diese Überlappungen der verschiedenen Erzählebenen scheinen durchaus beabsichtigt, gereichen dem Film aber nicht an jeder Stelle zum Vorteil – ebenso wie das unübersehbar Pastichehafte, das bald mehr Freude am heiteren Raten der Inspirationsquellen als an der eigentlichen, recht wirren Handlung hervorruft. Umso mehr Freude dürfte man aber an den teilweise hinreißend exaltierten Bildern sowie an dem feinen Score von M83 haben, die bereits die Filmmusik zu Begegnungen nach Mitternacht besorgten. Was kein Wunder ist, wenn man bedenkt, dass Anthony Gonzalez, eines des zwei Mitglieder der Dream Pop /Elektro-Formation, der Bruder des Regisseurs ist.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/messer-im-herz-2018