Mary Shelley (2017)

Geboren aus dem Geiste des Verlusts

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Das Kratzen eines Stifts auf Papier ist zu hören, es sind Worte, die schnell, ja, regelrecht fiebrig niedergeschrieben werden. Allein dank dieser Tonspur wird schon deutlich, wie viel Leidenschaft, wie viel Dringlichkeit in diesem Schreiben steckt. Zu sehen ist dann eine junge Frau, sie sitzt auf einem Friedhof neben dem Grab ihrer Mutter Mary Wollstonecraft und eilt schließlich nach Hause. Ihre Stiefmutter (Joanne Froggatt) wartet schon auf sie, schimpft mit ihr, sie hat kein Verständnis für diese Herumtreiberei, immerhin müssen alle dafür sorgen, dass die Familie mit dem Einkommen durch die Buchhandlung des Vaters überlebt.

Die Schreibende ist Mary Wollstonecraft Godwin (Elle Fanning), besser bekannt wird sie einst mit dem Nachnamen ihres späteren Ehemannes sein: Mary Shelley, Autorin von Frankenstein oder Der moderne Prometheus und vielen weiteren Romanen. Doch noch sind Ehe und literarischer Ruhm in weiter Ferne: Die rebellische Mary und ihre Stiefmutter geraten immer wieder aneinander, also schickt ihr Vater William Godwin (Stephen Dillane) seine Tochter nach Schottland – auch in der Hoffnung, dass sie fernab des Vertrauten ihre eigene Stimme als Literatin findet. Dort trifft sie – so will es der Film – das erste Mal auf Percy Bysshe Shelley (Douglas Booth), der mit seinen leicht verstrubbelten Haaren und seiner ostentativen Leidenschaft für Poesie sehr genau der Vorstellung entspricht, die sich viele von einem legendären Dichter des 19. Jahrhunderts machen, der jung sterben wird. Percy ist 21, Mary ist 16, sie verlieben sich leidenschaftlich. Zu diesem Zeitpunkt ahnt Mary noch nicht, dass Percy bereits verheiratet ist, aber Frau und Kind verlassen hat. Als sie es herausfindet, ist es zu spät: Sie ist voll entflammt und glaubt, bei ihrem ehemals radikalen Vater Verständnis für ihre Ablehnung der ehelichen und gesellschaftlichen Konventionen zu finden. Also brennt sie mit Percy durch, begleitet von ihrer Stiefschwester Claire (Bel Powley). Aber dieses rebellische Leben ist härter als Mary glaubt: Immer wieder hat das Paar große Geldsorgen, die Gesellschaft akzeptiert das Zusammenleben nicht und schließlich muss sie feststellen, dass Percy ein anderes Verständnis von freier Liebe hat als sie und im Grunde genommen ein manipulativer Narzisst ist.

Es ist ein Verdienst des Films, klar herauszustellen, dass ein Leben fernab der Konventionen an der Seite von Männern, die sich frei und unabhängig geben, für Frauen immer noch anders ist: Als Claire schwanger wird, muss sie damit allein zurechtkommen. Wenn sich bei dem Aufenthalt des Trios im Schweizer Schloss von Lord Byron (Tom Sturridge) dieser übergriffig annähert, macht Mary gute Miene und spielt mit. Dagegen verkraftet es Percy, der Mary immer wieder betrügt, kaum, dass sich der Arzt John Polidori (Ben Hardy) Mary emotional annähert. In der Beziehung sieht Percy Mary allen Beteuerungen zum Trotz nicht als gleichberechtigten Partner, aber er glaubt an ihr literarisches Talent.

Bemerkenswert ist, dass Mary Shelley ein Film über die Autorin sein soll, aber die Männer sehr viel Raum einnehmen. Zuvorderst Marys Ehemann Percy, dessen Worte insbesondere am Anfang immer wieder aus dem Off erklingen. Als Porträt einer Ehe – ähnlich der Curies –, in der zunächst dem Mann das Genie zugesprochen wird, ehe die Frau sich in der öffentlichen Wahrnehmung emanzipiert, ist es stimmig. Sicherlich ist Percy auch in der Zeit, in der der Film spielt, der prominentere Autor, berühmt-berüchtigt nicht nur für seinen Rauswurf aus Oxford. Aber der Film heißt nicht „Die Shelleys“ – und deshalb stellt sich die Frage, warum ein Film, der von ihr erzählen soll, so viele seiner Worte enthält, korrekt und überemphatisch aufgesagte Liebesschwüre und leidenschaftliches Gemurmel, untermalt von Musik. Denn es ist nicht so als gäbe es zu Mary Shelley nicht sehr viel mehr zu erzählen als in den Film eingegangen ist. Hier stirbt ein Kind, die anderen Fehlgeburten werden ebenso wie ihre andere Stiefschwester nicht erwähnt.

Das ist erstaunlich, denn der Film vertritt letztlich die überkommene Auffassung von weiblicher Kreativität: Während Byron, Percy und sogar Polidori Inspiration aus einer Idee entwickeln – und sei es ein literarischer Wettstreit –, ist es bei Mary Shelley die Erfahrung und Empfindung von Verlust, Verlorenheit und Trauer, also das Gefühl. Und in dieser Interpretation von Mary Shelleys Leben sind es die zwei Ur-Erfahrungen einer Frau: Sie verliert ein Kind und ihr Mann betrügt sie. Dagegen sind auch die Szenen, in denen Marys Interesse für Naturwissenschaften thematisiert werden, ein allzu leichtes Gegengewicht. Und auch dass der Film dann für Frankenstein gleich noch eine Interpretation mitliefert, wenn Claire erklärt, sie erkenne sich in dem unterdrückten Monster als unterdrückte Frau wieder, ist das nicht aus dem Film heraus entwickelt, sondern lediglich gesagt und mit viel Mühe hineinzulesen.

Damit bleibt Mary Shelley trotz der tollen Kostüme allzu sehr in den Konventionen eines Biopics, das Widersprüche und einiges ausspart, was schwer auszuhalten oder zu ertragen wäre. Immerhin erinnert der Film daran, wie viele moderne Ideen bereits im 19. Jahrhundert in England zu finden sind. Und darin liegt dann auch die Stärke von Mary Shelley: Der Film zeigt innerhalb seines konventionellen Rahmens, dass Mary Shelley eine Wegbereiterin war - und dass für manche Ideen und Ideale schon sehr lange gekämpft wird. Freundlich ausgedrückt mag man sie zeitlos nennen. Aber letztlich untermauert es vor allem ihre Dringlichkeit.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/mary-shelley-2017