Get Out (2017)

Der Horror des Alltagsrassismus

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Ein Film, der wie eine perfekte Metapher auf die US-amerikanische Gesellschaft wirkt, der die vermeintlich Liberalen entlarvt, den alltäglichen Rassismus und Demütigungen für Schwarze zeigt – und noch dazu amüsant-gruselig ist. Über Get Out schwappten schon aus den USA einige Lobeshymnen über den großen Teich und die guten Nachrichten sind: Sie liegen allesamt richtig. Und der Film funktioniert auch für ein europäisches Publikum.

Get Out beginnt mit einem allzu vertraut wirkenden Szenario: Ein junger schwarzer Mann (Lakeith Stanfield) läuft bei Einbruch der Nacht durch ein Wohnviertel, telefoniert mit seiner Freundin und konstatiert, dass es eine dumme Idee sei, Straßen so ähnlich zu benennen. Er fühlt sich unwohl in dieser weißen Wohngegend, er glaubt, er falle zu sehr auf – und er weiß um die Gefahr. Dann taucht auch schon ein (natürlich) weißes Auto auf, verlangsamt das Tempo, folgt ihm und plötzlich wird er von hinten überfallen. Das ist ein gar nicht unüblicher Einstieg in einen Film, hier aber bekommt er eine zusätzliche Note: Er erinnert an Trayvon Martin, der am 26. Februar 2012 in Standford, Florida von einem Nachbarschaftswachmann getötet wurde. In dem Film von Jordan Peele nun erscheint sie darüber hinaus als ein Hinweis auf die Ängste, die der Fotograf Chris Washington (Daniel Kaluuya) angesichts des bevorstehenden Treffens mit den weißen Eltern seiner Freundin Rose Armitage (Allison Williams) befallen. Ob sie denn wüssten, dass er schwarz sei, fragt er sie, bevor sie abfahren. Nein, aber das sei überhaupt kein Problem, versichert Rose ihm. Chris bezweifelt dies zwar, steigt aber in das Auto und erinnert seinen Kumpel Rod Williams (LilRel Howery) noch einmal daran, dass er sich um seinen Hund kümmere.

Fortan mehren sich die Warnzeichen: Ein Hirsch läuft dem jungen Paar vor das Auto, der Polizei beäugt Chris misstrauisch – er gehört dort nicht hin, so bedeutet ihm der Blick des Ordnungshüters. Auf dem Anwesen von Roses Eltern verhalten sich die schwarzen Hausangestellten Walter (Marcus Henderson) und Georgina (Betty Gabriel) äußerst merkwürdig. Chris versucht erst einmal, das zu ignorieren, doch das ungute Gefühl lässt weder Chris noch die Zuschauer los. Und warum bloß wirken Missy (Catherine Keener) und Dean (Bradley Whitford) so übertrieben freundlich; warum betont er, dass er Obama noch ein drittes Mal gewählt hätte und warum will sie Chris unbedingt hypnotisieren, damit er vom Rauchen loskommt? Warum macht Rose Bruder Jeremy (Caleb Landry Jones) so merkwürdige Anspielungen auf Chris’ ‚natürliche Athletik’? Ist das alles dem Alltagsrassismus geschuldet oder steckt mehr dahinter? Chris fühlt sich zunehmend unwohl in diesem Haus – und diese Anspannung, dieses Unwohlsein nimmt am nächsten Tag noch zu, als dort eine Feier stattfindet, bei der Chris allein aufgrund seiner Hautfarbe auffällt – und jeder scheinbar wohlmeinende, tatsächlich aber rassistische und übergriffige Äußerungen tätigt, weil er es anscheinend nicht gewohnt ist, im Alltag auf nicht-weiße Menschen zu treffen.

In der Welt der Weißen, so wird in Get Out von Anfang an deutlich, gibt es für Schwarze keinen sicheren Ort. Nicht die Straße, aber auch nicht deren Häuser. Dabei setzt der Film – im Gegensatz zu vorherigen Filmen von Blumhouse Productions wie Ouija und Insidious – nicht auf Übersinnliches, sondern der Horror entsteht hier aus der alltäglichen Angst, aus gruseligen Bemerkungen von Weißen und aus dem Bemühungen von Chris, darüber zu stehen. Dieser Film spielt die Alltagserfahrungen, den systemimmanenten und verdeckten Rassismus, die Vorstellungen sowie Erfahrungen der Zuschauer so geschickt aus, dass sie ihm seine Spannung verleihen und seine comic reliefs einleiten. Jordan Peeles Drehbuch steckt voller genau beobachteter Details und Verweise, zu denen Gesten, Frisuren und Fruit Loops gehören, noch dazu werden vermeintliche Schwächen direkt aufgegriffen. So ist ein Teil des Geheimnisses recht früh zu erahnen, aber da Chris’ Freund Rod diese Variante als mögliche Erklärung ausplaudert, wird klar, dass noch mehr enthüllt werden wird. Auch die finale Wendung enthält über den drastischen Teil hinaus eine perfide Implikation, die leicht übersehen werden kann, aber sehr deutlich macht, dass es sich der Film mit dem Rassismus nicht allzu einfach macht. Garniert wird dann alles mit einem Schlussakt, der ungemein befriedigend ausfällt - inklusive einer hundsgemeinen Schlussnote.

Zu diesem Drehbuch kommt nun eine sehr gute Besetzung. Allen voran versteht es Hauptdarsteller Daniel Kaluuya (Sicario), Chris’ zunehmende Unsicherheit und die langsam entstehende Erkenntnis über die wahren Hintergründe perfekt auszudrücken. Catherine Keeners vermeintlich fürsorglichen und beruhigenden Blicke sind unfassbar bedrohlich. Und Allison Williams ist hervorragend besetzt als all-american girl.

Jordan Peele ist somit mit Get Out weitaus mehr als ein guter, intelligenter Horrorfilm gelungen: er entwirft eine Realität, in der Afro-Amerikaner sich nicht sicher fühlen können. Niemals. Und diese Realität des Films scheint der tatsächlichen sehr, sehr nah.



In einem Extratext haben wir uns zudem, ausgehend von Get Out, mit der Verbindung von Horror und dem Thema "Rassismus" befasst.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/get-out-2017