High Life (2018)

Über das Kuckucksnest hinaus ins All

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Wie soll man Claire Denis' neue Schöpfung „High Life“ nur beschreiben? Diesen Film zu sehen, ist in etwa so, als würde man von einem Albtraum geplagt, nachdem man das Œuvre von Andrei Tarkowski gebinget und sich anschließend „2001 – Odyssee im Weltraum“ und „Einer flog über das Kuckucksnest“ in einem Parallel-Screening angeschaut hat, während man nebenbei noch eifrig in einem Fetisch-Sex-Katalog geblättert hat. Allzu schön ist das nicht – uninteressant aber ganz gewiss auch nicht.

Die Handlung ließe sich vermutlich so wiedergeben, dass man statt der kinematografischen Obskurität, die Denis uns präsentiert, ebenso eine Mainstream-Dystopie im Stil von Die Tribute von Panem erwarten könnte. Doch High Life ist trotz diverser Science-Fiction-Elemente kein klassischer Genre-Beitrag – wie schon Denis' Trouble Every Day (2001) trotz zahlreicher Schock- und Blut-Zutaten kein typischer Horrorfilm war. Die französische Kino-Künstlerin und Akademikerin nutzt das Setting eines Raumschiffes, um von existenziellen Begierden und menschlicher Grausamkeit, aber auch von unverhoffter Zärtlichkeit zu erzählen.

Am Anfang ist da der junge Monte (Robert Pattinson), der dem Anschein nach völlig allein mit dem Baby Willow in einem Raumfahrzeug durchs All schwebt. Wie Pattinson mit dem Baby interagiert und so tut, als sei es die größte Selbstverständlichkeit, dass dieser Mann und dieses kleine Wesen auf einem ziemlich weitläufigen Schiff gänzlich isoliert durchs Universum gleiten – das hat was! Denis webt allerdings von Anbeginn Irritationsbilder ein, die bereits darauf hindeuten, dass es nicht bei einer Vater-Tochter-Odyssee bleiben wird. Und tatsächlich zeigt sich bald, dass sich doch noch weitere Menschen auf dem Schiff befinden – die indes nicht mehr leben und von Monte mühsam entsorgt werden.

Dies führt zu einigen morbid-poetischen (Trick-)Aufnahmen – und zu längeren Rückblenden sowie einem kurzen Ortswechsel. In einem Zug erklärt ein aufgebrachter Professor (Victor Banerjee) einer Journalistin (Juliette Picollot), dass die Regierung Kriminelle einsetzt, damit diese weit entfernt im Weltall wichtige Ressourcen beschaffen. Was der Staat diesen Personen jedoch nicht mitteile, sei die Tatsache, dass sie nie wieder zurückkehren können. Als Zuschauer_in glaubt man vielleicht, dass der Film sich irgendwann noch mal diesem Professor widmen wird, dass der Zug ihn womöglich irgendwo hinbringen und er irgendetwas unternehmen wird – wir werden ihn nach dieser Szene allerdings kein einziges Mal wiedersehen. Nun gut.

Stattdessen bringen die Rückblicke ein wenig Erhellung: Mit der ebenfalls straffälligen Ärztin Dr. Dibs (Juliette Binoche) und einer Gruppe von sieben Leuten (verkörpert von André Benjamin, Mia Goth, Lars Eidinger, Agata Buzek, Claire Tran, Ewan Mitchell und Gloria Obianyo) gehört Monte zu jenen „Versuchskaninchen“, von denen der Professor sprach. Denis und ihre Kameramänner Yorick Le Saux und Tomasz Naumiuk fangen die im Dienst der Wissenschaft stehende Besatzung bei deren Routinen ein, zeigen Konflikte und Eskalationen – bis alles immer blutiger und tödlicher wird.

Dass die Aseptik, der stark unterkühlte Look eines Raumfahrzeugs mit blutrotem Exzess kombiniert wird, ist uns spätestens seit der Alien-Reihe bestens vertraut. Weniger vertraut ist uns hingegen zum Beispiel eine sogenannte „Fuck Box“, die in High Life etwa von der hexenhaft anmutenden Ärztin zur ausgiebigen Masturbation genutzt wird. Während diese Szene in ihrer an einen wilden Tanz erinnernden Choreografie wirklich bemerkenswert ist, wirkt das Spiel mit Körperflüssigkeiten und (oftmals sexualisierter) Gewalt an manchen Stellen zu gewollt provokativ. Stark ist der Film vor allem dann, wenn er die Verzweiflung seiner Figuren vermittelt: Sie sind Gefangene im All – voneinander abhängig und letztlich doch ganz auf sich selbst gestellt. Wenn diese Menschen das Ausbeuterische ihrer „Mission“ erkennen, wenn sie einander näherzukommen versuchen und dabei rasch Grenzen überschreiten, ist das für uns als Publikum äußerst unbequem, aber zugleich von bezwingender Intensität.

Pattinson kommt – abgesehen vom liebevollen Zusammenspiel mit dem Baby, aus dem im weiteren Verlauf ein Teenager wird – eher die Rolle des Beobachters zu. Für das Hochtourige und Abseitige sind insbesondere Binoche, Goth, Eidinger und Mitchell zuständig – und das Quartett erfüllt diese Aufgabe mit erstaunlicher Sorgfalt. High Life ist, ebenso wie sein Personal, kein Werk, das gefallen will. Man verlässt den Kinosaal nicht unbedingt mit dem Gedanken, gerade einen „guten Film“ gesehen zu haben; wahrscheinlicher ist, dass man knapp zwei Stunden lang ziemlich gelitten hat. Aber gelegentlich haben Albträume in ihrer konfrontativen Art, wie sie uns gnadenlos herausfordern, durchaus ihren Reiz. Und mit diesem Reiz weiß Denis seit jeher überaus clever umzugehen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/high-life-2018