Die Blumen von gestern (2016)

Die lustigen Holocaustforscher

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Holocaustforscher dürfen keinen Humor haben. Das ist mal klar. Dementsprechend verbiestert ist Totila Blumen. Seines Zeichens Historiker arbeitet und forscht er an der zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, ein riesiges Archiv mit immensen Massen an Material über die Täter. Und – im Film – mit einem Totila, der die reine Lehre verteidigt mit Klauen und Zähnen. Oder mit Prügeln: Seinen Chef und ewigen Widersacher Balthasar Thomas schlägt er zu Brei, weil der beim geplanten großen Auschwitz-Kongress werbefinanzierte Häppchen reichen will. Währenddessen verstirbt der Doyen der Institution, der große alte Professor. Und Chris Kraus hat für Die Blumen von gestern einen perfekten Einstieg gefunden, in dem es so richtig knallt.

Tatsächlich hätte man Chris Kraus gar nicht solch eine Leichtigkeit, solch einen bizarren Humor zugetraut. Eher schwermütig hat er in Vier Minuten oder Poll die Auswirkungen der deutschen Vergangenheit auf die Gegenwart untersucht. Jetzt gelingt ihm ein Eintauchen ins Absurde, das die tragische Schwere des historischen Bodens, auf dem der Film steht, unter einem ganz anderen Aspekt beleuchtet. Denn über weite Teile des Films geht es um den Schwanzvergleich rivalisierender Historiker, um die ganzen Störungen, die sie mit sich rumtragen, um die Kabbeleien um eine junge französische Praktikantin, die Totila verständlicherweise nur doof findet. Und um die Kulissenschiebereien, die die Vorbereitungen eines Holocaust-Kongresses mit sich bringen.

Wir folgen Totila, wie er sich mit der jungen Zazie abplagen muss. Zu seiner misanthropischen Art kommt die äußerst kurze Zündschnur, die ihn immer wieder direkt explodieren lässt. Und eine sozialphobische Stoffeligkeit ist ihm zudem zueigen. Mit ihm kann man es nicht aushalten. Außer man heißt Zazie, ist jung, empathisch, impulsiv und ebenfalls tief gestört. Weil sie alles Leid der Vergangenheit in ihrer Seele aufsammelt, hat sie eine äußerst dünne Haut. Dumm, dass sie auch keine Berührungsängste hat: Da platzt sie dann schon mal. Und Chris Kraus hat ein großartiges Screwball-Paar für seinen Film, mit unglaublichen Dialogduellen, die in großem Witz dem Zuschauer um die Ohren geschlagen werden. Und mit unheimlicher Krassheit, die der Film immer wieder zur Schau stellt. Da fliegt auch mal ein Hund aus dem Autofenster. Und mit einer alten Überlebenden-Schreckschraube wird Sexualleben diskutiert. Und Auschwitzkongress-Sponsor Daimler bietet 10.000 Euro, wenn eine Zeitzeugin bei ihrem Vortrag einen Stern trägt. Einen Mercedesstern natürlich, keinen Judenstern.

Lars Eidinger als Totila Blumen, Jan Josef Liefers als Balthasar Thomas, Adèle Haenel, aufsteigender Star des französischen Kinos, als Zazie, dazu Hannah Herzsprung als verzweifelte Ehefrau: Ein stargespickter Film, der seine Kraft und seine Qualität aus seiner Ungewöhnlichkeit zieht. Ungewöhnlich witzig, auch wenn im weiteren Verlauf die Konflikte sich türmen. Nach ungefähr der Hälfte des Films und einer Menge Verwicklungen kommen wir zur eigentlichen Handlung. Eine Liebesgeschichte aus Opfer-Enkelin und Täter-Enkel, schuldhaft miteinander verstrickt, körperlich zueinander hingezogen, durch große Widerstände voneinander entfernt. Wenn man die Einzelteile des Films ansehen würde, müsste man wohl feststellen, dass Kraus vielleicht zu viel hineingesteckt hat in seine Erzählung. Doch zur Detailanalyse lässt der Film keine Chance, und man hat auch keine Lust dazu. Denn Die Blumen von gestern ist viel besser als die Summe seiner Einzelheiten und Einzelteile, ein stimmiges Gesamtbild, große Kinounterhaltung, höchstes Amüsement, wenn man den richtigen Humor mitbringt. Und zugleich ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Vergangenen, das sich in die Gegenwart bohrt; denn sich über die Figuren lustig zu machen in ihren Spleens und Eigenheiten und ihrer Quatschköpfigkeit ist etwas anderes, als das Thema zu verraten.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-blumen-von-gestern-2016