Die Abenteuer des Prinzen Achmed (1926)

Ein Spiel von Licht und Schatten

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Wahrlich, das sind Abenteuer: Prinz Achmed wird von einem bösen Zauberer auf ein fliegendes Pferd gelockt, das er nur mit Mühe wieder zur Landung bewegen kann. Dann verliebt er sich in die schöne Pari Banu, die jedoch vom Zauberer wieder entführt wird, so dass er sich der Hilfe der Hexe vom Flammenberg versichern muss, um sie zu befreien. Aber bevor er wieder nach Hause zurückkehren kann, muss er seinen Freund Aladin wiederfinden, dessen Wunderlampe er braucht...

Lotte Reinigers Langfilmdebüt Die Abenteuer des Prinzen Achmed, das im Jahr 1926 seine Premiere feierte, greift verschiedene Motive aus den Erzählungen von 1001 Nacht auf – man findet das fliegende Zauberpferd, dämonische Geister und natürlich Aladins Wunderlampe – und webt daraus eine ganz eigene Geschichte. Das Episodenhafte daran ist Absicht und System: Der Film gliedert sich, im jungen Kino (wie viele Filme dieser Zeit) noch das Theater spiegelnd, kapitelgleich in mehrere Akte. 

Das eigentlich Bemerkenswerte, Beglückende an diesem Film ist jedoch die Technik, mit der seine Bilder entstanden sind, und die exquisite Perfektion, mit der sie umgesetzt wurden. Die Abenteuer des Prinzen Achmed gilt als der erste abendfüllende Animationsfilm (10 Jahre vor Schneewittchen von Walt Disney), und in der Tat hatte es bis 1926 nichts Vergleichbares gegeben. Reiniger hatte 1919 im Alter von 20 Jahren damit begonnen, kleine Filme zu machen (Das Ornament des verliebten Herzens war ihr Erstling), an diesem Langfilm arbeitete sie ab 1923 mit einem kleinen Stab von nur 4 Mitarbeitern.

Reiniger hatte als Schülerin gelernt, Schattenrisse und Silhouettenportraits zu erstellen – hier setzt sie diese Kenntnisse und Erfahrungen ein und entwickelt sie weiter. Die Figuren aus Die Abenteuer des Prinzen Achmed sind von atemberaubender Schönheit, filigran sowohl in ihrer Gestaltung – Kostüme und Trachten mit feinsten Verzierungen, Federn und Schmuck – als auch in ihren Bewegungen. Der Aufwand, mit dem traditionelle Animationstechniken Bild für Bild den Eindruck von Bewegungen zu erzeugen, wird gerne vergessen; hier wird er durch die Zerbrechlichkeit der Figuren spürbar.

Die Hintergründe sind zum Teil in mehrere Ebenen aufgeteilt – technisch realisierte Reiniger das durch mehrere Lagen von transparentem Butterbrotpapier; so entstehen Gebirgspanoramen mit großer Tiefenwirkung oder die abenteuerliche Seereise von Prinz Achmed durch einen Sturm und hohe Wellen. Höhepunkte der Animation, des Spiels von Licht, Schatten und Farbe sind außerdem der große Kampf zwischen Zauberer und Hexe oder die Metamorphosen, wenn sich die beiden zur Tarnung oder zum Kampf in wechselnde Tiere verwandeln.

Lotte Reiniger emigrierte 1935, „weil mir diese Hitler-Veranstaltung nicht passte und weil ich sehr viele jüdische Freunde hatte, die ich nun nicht mehr Freunde nennen durfte.“ Ihr Gang ins Exil dürfte durchaus dazu beigetragen haben, dass ihre Filme in Deutschland fast 40 Jahre lang völlig vergessen wurden – erst Anfang der 1970er Jahre wurden sie wieder gezeigt, wurde auch die Künstlerin wieder eingeladen und wahrgenommen.

Das Originalnegativ von Die Abenteuer des Prinzen Achmed ist dennoch ebenso verschollen wie die ursprüngliche deutsche Fassung. Die jüngste Restaurierung, 1999 zu Reinigers 100. Geburtstag entstanden, basiert vor allem auf einem Filmpositiv aus einem Archiv des British Film Institute. Auf Grundlage dieses Exemplars konnte auch die Farbviragierung nachvollzogen worden; da außerdem die Noten zur Originalmusik von Wolfgang Zeller erhalten geblieben sind – auf der 2018 veröffentlichten Blu-ray eingespielt vom MDR-Sinfonieorchester – kann die aktuelle Fassung zumindest den Anspruch erheben, dem Original recht nahezukommen.

Und sichtbar wird, welche Meisterin ihres Faches Lotte Reiniger war; wie ihre Arbeit – insgesamt hat sie mehr als 50 Silhouettenfilme geschaffen, von denen immerhin gut 40 erhalten sind – auch die Filmgeschichte geprägt hat. Das wird vielleicht besonders sichtbar bei den Arbeiten von Michel Ocelot, der sich z.B. mit Prinzen und Prinzessinnen direkt auf Reiniger bezieht. Aber viele Techniken, die in Die Abenteuer des Prinzen Achmed zur Anwendung kamen, finden später auch im gezeichneten Animationsfilm, vor allem aus dem Hause Disney, wieder Verwendung. Es gibt für das Animationskino vielleicht keinen wichtigeren Film als diese erstaunliche Arbeit einer 26 Jahre alten Frau.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-abenteuer-des-prinzen-achmed-1926