Westwood (2018)

Renitente Protagonistin

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Eigentlich hat sie ja gar keine Lust. Wozu soll das bloß gut sein? Langweilig ist das! So geht es los in Lorna Tuckers Dokumentarfilm „Westwood“, der sich mit der britischen Punk-Ikone, Modedesignerin und Umweltaktivistin Vivienne Westwood befasst. Die Porträtierte (Jahrgang 1941) sitzt in einem grauen Samtsessel, der farblich perfekt zu ihrem dunkelgrünen Kleid und ihren weißblonden Haaren passt, und bringt ihre Entnervung zum Ausdruck. Sie will nicht über die Stationen ihrer Vergangenheit reden – aber sie tut es dann trotzdem.

Tuckers Entscheidung, den vehementen Widerstand und Unwillen ihrer titelgebenden Protagonistin nicht auszublenden, sondern ihn dramaturgisch zu nutzen, erweist sich als richtig, da so von Anfang an deutlich wird, dass sich eine Persönlichkeit wie Westwood nicht in das Schema eines brav nacherzählenden biografischen Dokumentarfilms pressen lässt. Eine in sentimentalem Ton „von früher“ berichtende Westwood, die stolz ihre Kämpfe und Errungenschaften schildert? Kaum vorstellbar.

Diesen Job übernehmen deshalb teilweise andere – und lassen dabei erst recht erkennen, dass ein angemessen übellauniges Gegengewicht zu all dem Lobgesang vonnöten ist, um authentisch zu bleiben. Wenn etwa eine Kuratorin des Victoria and Albert Museum das von Westwood in den 1970er Jahren entworfene Destroy-T-Shirt aus Musselin, das sich in seiner Gestaltung gegen Faschismus richtet, mit Schutzhandschuhen präsentiert und achtungsvoll über die Bildsprache und Bedeutung von Westwoods Kreationen spricht, geschieht das zwar in klugen Worten; doch ein Film, der nur aus derlei Aussagen bestünde, wäre wohl rasch reizlos.

Stattdessen kehrt Tucker immer wieder zu Westwood im Sessel zurück, die trotz ihrer grundsätzlichen Ablehnung einer Rückschau zu interessanten Erkenntnissen gelangt. Zum Beispiel dass sie und ihr Ex-Lebens- und Geschäftspartner Malcolm McLaren mit ihrem rebellischen Verhalten und Aussehen dem „System“ letztlich gar nicht schadeten, sondern vielmehr (ungewollt) Teil des Ablenkungsmanövers waren, da die Berichte über ihre Eskapaden die Gesellschaft davon abhielten, über staatliche Zustände und Machenschaften nachzudenken. Auch Westwoods zweiter Ehemann (nach Derek Westwood, von dem sich die damalige Lehrerin in den 1960er Jahren nach kurzer Ehe scheiden ließ) nimmt vor der Kamera in einem nun grünen Samtsessel Platz: Andreas Kronthaler, der die als Gastprofessorin tätige Westwood einst als Student an der Universität für angewandte Kunst in Wien kennenlernte, weiß, wie er selbst meint, ebenfalls wirklich gar nicht, was er sagen soll – um im Anschluss an diese Erklärung sehr schöne Worte für Westwoods Wesen und für die gemeinsame Beziehung zu finden.

Überdies arbeitet Tucker mit Archivmaterial, um den Zeitgeist im Laufe von Westwoods Werdegang einzufangen; sie interviewt Personen aus Westwoods privatem und beruflichem Umfeld – und sie blickt mit ihrem Kameramann James Moriarty hinter die Kulissen, etwa am Abend vor einer Modenschau in London oder in den hektischen Tagen vor der Eröffnung einer Westwood-Boutique in den USA. Auch hier entstehen nicht nur Momente, die die Genialität der Designerin feiern und maximalen Glamour zu versprühen versuchen, sondern konfliktreiche Situationen, die bei der Leitung eines immer größer werdenden Unternehmens unvermeidlich sind. Da fallen Sätze wie „I don’t know what the fuck this is“, wenn die neue Kollektion begutachtet wird; es gibt Augenblicke der Gereiztheit, der Frustration und der suboptimalen Kommunikation. Westwoods Einsatz für den Klimaschutz und dessen Einfluss auf ihre Arbeit in der Modewelt hätten innerhalb des Films durchaus noch mehr Raum verdient; insgesamt ist Westwood aber eine gelungene, spannende Betrachtung und dank seiner charismatischen Titelheldin ganz gewiss nicht langweilig.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/westwood-2018