Exhibition on Screen: Canaletto und die Kunst von Venedig (2017)

Ein Chronist Venedigs

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Mit den Filmen der Exhibition-on-Screen-Reihe ist es so eine Sache: das Interesse am einzelnen Film hängt direkt ab vom Interesse am jeweiligen Künstler, denn weil sie sich ganz in dessen Dienst stellen, sind sie formal nicht sonderlich experimentell oder aufregend.

Ein Film über Giovanni Antonio Canal, besser bekannt als Canaletto, bietet zum Beispiel nicht unbedingt die besten Voraussetzungen: der venezianische Meister der Vedutenmalerei (also der Stadtansichten, die ich zugegebenermaßen erst einmal leichtfertig als Postkartenmalerei abtue) wurde in derselben Kirche getauft, in der er später auch begraben wurde. Er heiratete nie. Als in einer späteren Schaffensphase einmal die Aufträge knapp wurden, unternahm er eine Reise nach London. Viel mehr ist über sein ausgesprochen geradliniges Leben nicht bekannt.

Den roten Faden des Films bildet die Ausstellung Canaletto and the Art of Venice in der Queen’s Gallery im Buckingham Palace. Weil die Royal Collection einen Großteil von Canalettos Werken umfasst, kann an ihr die ganze Entwicklung des Künstlers nachvollzogen werden. Der Film beginnt zunächst aber mit majestätischer Musik, mit Ansichten von Statuen rund um den Buckingham Palace. Später gibt es Aufnahmen aus einem Opernhaus, eine Frau singt eine Arie, während maskierte Artisten den Karneval in Venedig feiern. Dazu pittoreske Bilder der Gondoliere auf dem Canale Grande.

Canaletto und die Kunst von Venedig besteht zu einem nicht geringen Teil aus solchem Füllmaterial. Nicht nur, dass dieses Vorgehen das Klischee vom kitschigen Postkartenmaler zu unterstreichen scheint. Es leuchtet auch nicht ein, wieso die Filmemacher bei der ungünstigen Quellenlage nicht einfach ein kürzeres Format drehen. Oder sich auf die früheren Filme der Reihe besinnen, die sich oftmals mehr Zeit dafür ließen, einzelne Bilder zu beschreiben und zu analysieren.

Schade ist das auch, weil es durchaus genügend Interessantes zu erzählen gibt. Wie sich bald herausstellt, unterschätzt man Canaletto nämlich nur allzu leicht. Experten reden im Film über den Stadtbau in Venedig, über die Geschichte der Stadt, ihren Handel und Reichtum, ihre politische Stabilität und den Alltag der Bewohner. Das ist Füllmaterial im positiven Sinne, es setzt Canalettos Schaffen in einen Kontext. Später gibt es eine kleine Einführung in eine seit Jahren tobende kunsthistorische Debatte: die Frage, ob der Künstler eine camera obscura verwendete.

Beweise dafür lassen sich kaum finden: Blicke in sein Skizzenbuch und Infrarotfotografien seiner Gemälde offenbaren lediglich mit dem Lineal vorgezeichnete Gebäude und ihre Spiegelungen im Wasser, manchmal auch zugunsten der Komposition veränderte Details. Die Tatsache, dass Canaletto seine Stadtansichten nicht im Feld malte, sondern im Studio auf Grundlage schnell hingeworfener Skizzen und seiner Erinnerung, macht seine Arbeiten umso erstaunlicher: Überblendungen vom Gemälde zum jeweiligen Ort zeigen seine Akkuratesse.

Canaletto ist nicht der erste venezianische Vedutenmaler, aber er setzt sich von seinen Kollegen ab, weil er viel moderner, viel weniger steif malt als sie. Er lässt kleine Hunde seine Straßen und Plätze bevölkern, wiederholt sich niemals, wenn er Menschen malt. Viele der Bilder spiegeln die sozialen Hierarchien seiner Zeit. Eine Restauratorin nimmt uns ganz nah mit an die Bilder heran. In den extremen Detailaufnahmen wird sichtbar, wie es Canaletto gelang, mithilfe nur weniger Farbtupfer und kleiner, lebhafter Pinselstriche den authentischen Eindruck von Gesichtern, von Gestik, Mimik und Bewegungen zu schaffen. Schließlich fällt der Blick auf einen Fingerabdruck, den der Maler selbst in der noch nassen Farbe hinterlassen haben muss - in diesen Momenten entwickelt Canaletto und die Kunst von Venedig nicht nur eine Faszination für das Handwerk, sondern beinahe auch so etwas wie ASMR-Qualitäten.

Canalettos Bilder sind so beliebt, dass sie noch zu seinen Lebzeiten hundertfach kopiert werden, man stellt günstigere Drucke für die Touristen her. Der Regisseur David Bickerstaff wirft auch in solch eine Druckwerkstatt noch einen Blick, vergisst über all diesen Exkursen aber beinahe die eigentlich zentrale Ausstellung. Der Film wirkt dadurch nicht ganz so strukturiert wie andere Film der Exhibition-on-Screen-Reihe. Aber er ist auch das beste Beispiel dafür, wie lohnenswert es sein kann sich mit Dingen zu beschäftigen, die man schon als uninteressant abgetan hatte.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/exhibition-on-screen-canaletto-und-die-kunst-von-venedig-2017