Yardie (2018)

Kingston - London

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Yardie beginnt mit einem Voice-over des Protagonisten D (Aml Ameen), damals noch ein Kind, das in Jamaika im Jahre 1973 in den Bergen herumläuft und einen sehnsüchtigen Blick auf die Stadt wirft. Die Stimme informiert uns, dass jeder seinen Weg finden muss, sei es auf der Seite der Rechtschaffenen oder der Verdammten. D wurde von seinem Bruder Jerry Dread (Everaldo Creary) in ein Dorf außerhalb von Kingston gebracht, nachdem eine Schülerin durch einen Querschläger während eines Schusswechsels zweier rivalisierender Gangs getötet wurde.

D soll in Sicherheit sein, während Jerry Dread das Unmögliche versucht: Frieden stiften mit Musik. Dafür schnappt er sich seine Soundanlage, fährt auf einen Platz, der als Nowheres Land bekannt ist, weil er zwischen den Vierteln der Gangs liegt, und will eine friedensstiftende Party geben. Aber D bleibt nicht in dem Ort, sondern begleitet seinen Bruder und muss nun mitansehen, wie dieser ermordet wird – von einem anderen Jungen, den er sogar kennt.

Es gibt Momente in diesem Prolog, die durchaus überzeugen: Allein schon die Klänge von Carlton and the Shoes‘ Love me forever – oder die Bilder der tanzenden Menschen auf der Party. Aber wenig später kniet dann auch D schon auf dem Boden und schreit ein „no“ in den Himmel. Dieser Wechsel zwischen wenigen großartigen Momenten und eher misslungenen Versuchen durchzieht den Film fortan in jeder Minute.

Nach dem Tod seines Bruders ist D wie von Sinnen und stört bei seiner Beerdigung, einer traditionellen „nine-night celebration“, die Zeremonie, so dass Jerry Dreads Geist dem alten Glauben zufolge keine Ruhe finden kann, sondern auf der Erde umherwandert, um Unheil anzurichten. Und da D seinen toten Bruder sieht, glaubt er daran und ist zudem überzeugt, dass er ihn rächen soll, indem er seinen Mörder tötet. Wie D auf diese Idee kommt, dass ausgerechnet sein friedensliebender Bruder diesen Wunsch haben könnte, ist eines der vielen Geheimnisse dieses Bruders. Aber auch zehn Jahre später ist dieses Ziel nicht verschwunden. D wurde von dem Gang-Anführer King Fox (Sheldon Shepard) quasi adoptiert und wird nun nach einem Zwischenfall nach London geschickt, um die Situation in Kingston zu beruhigen und Drogen zu liefern. Das macht aus ihm einen „Yardie“, ein Slangwort, mit dem expatriierte Jamaikaner bezeichnet werden – und da D sich weiterhin allzu schnell reizen lässt und kaum nachdenkt, handelt er sich weiteren Ärger ein.

Allein mit dem mythischen Aspekt der Geschichte deutet sich anfangs eine Tiefe an, die letztlich niemals ausgelotet wird. Stattdessen wandert Yardie auf den ausgetretenen Pfaden der Geschichte eines Kriminellen, der sich rächen will und dadurch alles und jeden in Gefahr bringt. Dennoch ist nicht nachzuvollziehen, was D eigentlich antreibt, warum er seine Freundin und seine kleine Tochter in Gefahr bringt und glaubt, damit irgendetwas gutzumachen. Womöglich soll das Festhalten an der Rache D so eine Art Unschuld verleihen, die er aber kaum mehr haben kann; immerhin hat er doch schon in Kingston als soldier für King Fox gearbeitet. 

Zudem sind die schauspielerischen Leistungen in diesem Film überwiegend überzogen – gerade Hauptdarsteller Aml Ameen übertreibt in Gesten, Mimik und Sprache. Eine der wenigen Ausnahmen – und nicht nur deshalb hervorzuheben – ist hier Shantol Jackson als Ds Freundin Yvonne. Sie holt aus den wenigen, undankbaren Szenen, die sie hat, sehr viel heraus.

Weitaus größeres Potential hätte auch der Einsatz der Musik gehabt. Schon King Fox macht in Musik und Drogen, auch in London hängen diese Szenen eng zusammen. Im Film stammt nun der Score von Dickon Hinchcliffe von den Tindersticks, dazu kommen zahlreiche großartige Tracks von Kingston Town bis zu Black Uhurus Guess who’s coming to Dinner und das große Finale wird sogar mit einem DJ-Wettbewerb verbunden. Und doch erscheint die Musik zu oft willkürlich, sie geht kaum ein Verhältnis zum Plot ein – und reicht erst recht nicht aus, die dramaturgischen Schwächen dieses Films auszugleichen. Hier reihen sich Szenen an Szenen, die kein Ganzes bilden. Dabei hat Idris Elba ein Gespür für den Ort und die Settings. Sowohl der Anfang in Jamaika mit knalligen, bunten Farben als auch die Fortführung in London setzt einen interessanten Gegenpunkt zu den üblichen ausgewaschenen Farben des britischen Gangsterfilms. Aber das ist einfach nicht genug.

Es ist schade, dass Idris Elbas Adaption des gleichnamigen Romans von Noel Clark nicht so kraftvoll wie die Vorlage ist. Denn Idris Elba ist populär genug, um diesen Film weltweit bekannt zu machen und damit eine Geschichte der Black Britains zu erzählen, die im Kino nicht allzu häufig stattfindet. 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/yardie-2018