The Guilty (2018)

Eine One-Man-Show

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Dass das Leben manchmal an einem seidenen Faden hängt, kennt man ja recht häufig von Filmen. Seltener ist es da schon, dass dieser Faden eine Telefonleitung ist, wobei auch diese Konstellation schon vor allem im Thriller-Bereich durchexerziert wurde, wie Filme wie The Call und „Locke“ zeigen. Der Däne Gustav Möller treibt mit seinem Film „The Guilty“ diese Prämisse noch einmal weiter auf die Spitze, indem er mit seiner Kamera für den gesamten Verlauf des Films auf dem Gesicht seines Protagonisten bleibt – und dennoch schafft es der Film über einen langen Zeitraum, die gesamte Bandbreite der Emotionen zu vermitteln und zugleich einen Diskursraum über Schuld und Vergebung und die Brüchigkeit dessen, was wir als Wahrheit annehmen, zu vermitteln.

Nach einem tödlichen Schuss aus der Dienstwaffe im Einsatz ist der Polizist Asger Holm (Jakob Cedergren) bis zur Anhörung über seinen Fall zum Innendienst verdonnert worden, den er in der Notrufzentrale der Polizei in Kopenhagen ableistet. Es ist seine letzte Nacht, sein letzter Dienst auf dieser ungeliebten Stelle, bevor am nächsten Tag eine Kommission endgültig über sein weiteres Schicksal entscheiden soll. Um Mitternacht endet die Schicht und zunächst ist es die übliche Mischung aus Verrückten, Besoffenen und leichten Fällen, die Asger routiniert und schnell abarbeitet. Bis Iben (Jessica Dinnage) anruft, eine junge Frau, die offensichtlich gerade entführt wurde und sich immer wieder bei ihm im Verlauf des Abends melden wird.

Asger erkennt schnell den Ernst der Lage und setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um das Leben der jungen Frau und Mutter zu retten, die offensichtlich von ihrem eigenen Ehemann verschleppt wurde, während die beiden kleinen Kinder des Paares verstört zuhause sitzen. Immer wieder, so scheint es, gelingt es Iben im Beisein ihres Entführers, bei Asger anzurufen, indem sie vorgibt, mit der gemeinsamen Tochter zu sprechen und immer wieder gelingt es dem Polizisten, mit geschickten Fragen mehr über die dramatischen Ereignisse herauszufinden, die sich in dem Auto abspielen. Bis er irgendwann merkt, dass er offensichtlich nicht das gesamte Ausmaß der zwischenmenschlichen Tragödie begriffen hat, deren Zeuge er geworden ist.

The Guilty ist ein Kammerspiel, das sich ausschließlich an Asgers Arbeitsplatz in der Notrufzentrale abspielt und das außer einigen Kollegen, die neben ihm Dienst schieben, keinerlei weitere Personen beinhaltet: Iben, ihren Mann und die Kinder bekommt man niemals zu Gesicht, sie sind lediglich Stimmen am Telefon, aus deren bruchstückhaften, gestammelten und geweinten Äußerungen sich Asger die Wahrheit – oder viel eher noch seine Wahrheit – zusammensuchen muss, um dann zwangsläufig vom neutralen Zuhörer zum Handelnden zu werden. 

Das Besondere an der Beziehung zwischen dem Polizisten und der Anruferin ist aber nicht nur, dass Iben ihn dazu zwingt, Partei zu ergreifen und selbst tätig zu werden, sondern auch die Vorgeschichte Asgers, der selbst durch den Schuss auf einen Unschuldigen eine schwere Schuld auf sich geladen hat, die er bislang – so hat es den Anschein – erfolgreich verdrängt hat. Weil sich dieses Ausmaß der persönlichen Schuld erst nach und nach enthüllt, erleben wir einen Protagonisten, der trotz seiner Bemühungen kein strahlender Held ist. Vielmehr entpuppt sich Asger als ein fehlerhafter Mensch, der unter Druck und vielleicht auch beseelt vom Wunsch, etwas von der eigenen Schuld wiedergutmachen zu wollen, beinahe eine fatale Fehlentscheidung getroffen hätte. 

Forschend rückt die Kamera immer wieder ganz nah an Asgers Gesicht, als wolle sie ihm direkt in die Seele schauen. Doch wie er sich am nächsten Tag unter dem Eindruck des gerade Erlebten bei seiner Anhörung und der Suche nach der Wahrheit verhalten wird, darüber gibt es am Ende keinerlei Gewissheit, sondern allenfalls die Andeutung einer möglichen Katharsis, derer sich aber weder Asger noch der Zuschauer selbst gewiss sein können.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-guilty-2018