Windspiel (2018)

Was soll man auch machen mit 13 in Brandenburg?

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Man sieht das titelgebende Windspiel im Film nur einmal für sehr kurze Zeit. A. (Alexander Lohse) hört beim Aufräumen von fern ein Klimpern. Da hängt es: aus alten Metallteilen, Schrauben und Schraubenmuttern zusammengeschustert, aber sein Klang ist dennoch zart und schön. Das erste Schöne, was er seit Tagen erlebt hat. Da fasst A. blitzschnell einen Entschluss und rennt davon.

Das ist verständlich. Zu Beginn des Films wurde der 13-Jährige in einem Kinderheim nahe dem brandenburgischen Cottbus abgegeben. In seinem Abschlussfilm von der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf vermittelt Peyman Ghalambor einen Eindruck tiefgreifender sozialer Kälte und Gleichgültigkeit. Die Menschen, die A. im Heim abliefern, die Erzieher und Aufpasser dort bleiben gesichtslos, einsilbig. Ghalambor zeigt sie von hinten oder von der Schulter abwärts aus der Perspektive des Jungen, der ihnen mit hängendem Kopf durch düstere Gänge und verschlossene Gittertore folgt. Nachts wird er in einem kargen Zimmer eingesperrt. Das Heim fühlt sich an wie ein Gefängnis.

Die sich anschließende Frage lautet: Was hat A. verbrochen? So, wie er behandelt wird, könnte man meinen, er sei gefährlich. Tatsächlich scheint der Junge aber aus einer Welt zu stammen, in der vor allem die Erwachsenen dysfunktional sind. Einmal kommt ihn seine Mutter für ein paar Minuten besuchen. Rauchend starrt sie aus dem Fenster und geht dann wieder. Nur einmal gibt es eine erfreuliche Abwechslung: die Frau von der Nachtwache nimmt A. mit in ihr Zimmer, überlässt ihm Tee und Käsebrote, im Fernsehen läuft ein Dokumentarfilm über die friedliche Übergabe der NVA-Soldaten an die Bundeswehr. Dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch Windspiel, nur von Frieden ist dabei nicht immer die Rede. Stattdessen von Menschen, die nach der Auflösung der Armee vor dem Aus standen, privat wie beruflich. In einer Szene, der einzigen, die sich von der allgemeinen Wortkargheit des Films löst, reden unbekannte Kartenspieler über einen Mann, der das alles nicht verkraftet hat. Ghalambor arbeitete dafür mit Cottbusser Laiendarstellern, sie sprechen ein kodderiges Brandenburger Berlinerisch.

Windspiel ist also ein Film über einen Jungen namens A., vor allem aber ein Brandenburg-Film. Ein egales Kind, ein egaler Landstrich. Hohe Kiefernwälder rauschen im Wind. Der Regisseur benutzt zwar hin und wieder Totalen, der Eindruck endloser Weite und Freiheit stellt aber sich dennoch nicht ein. Breite Schornsteine verstellen den Horizont, dicke Rohre ragen aus der Erde, ein Tagebau reißt den Boden auf und erinnert an die Fotografien der new topographics, die sich ab den 1970er Jahren von menschlichen Eingriffen gekennzeichneten Landschaften widmeten: Stadtränder, Gewerbegebiete, Industriebrachen, ausgebeutete Natur. Diese Bilder haben einen dokumentarischen Anspruch, sind fast immer auch als wortlose Anklage gemeint, ganz genau wie Windspiel

Der Film fühlt sich irgendwann etwas redundant an. Die Tage im Heim sind geprägt von Einsamkeit bei Nacht, Arbeit am Tag. A. putzt Fenster, wischt den Boden, räumt Werkzeuge auf und nach seiner Flucht ändert sich im Grunde nicht viel. Noch immer Einsamkeit, ab und zu klaut er etwas zu essen und trifft schließlich auf den anscheinend einzigen freundlichen Menschen auf der ganzen Welt. Ein alter, einsamer Mann (Kurt Fiedermann), dem er im Garten mit seinem Boot hilft - wieder Fensterputzen. Aber mit einem entscheidenden Unterschied: im Heim tat er es aus Zwang, nun tut er es freiwillig. Von seinen Weisungsberechtigten hört man unterdessen nicht mehr viel. Einmal ist das Rattern eines Hubschraubers von Weitem zu hören und man fragt sich, ob inzwischen eine Suchaktion eingeleitet wurde. Genau kann man es nicht wissen. Windspiel ist nicht gerade ein hoffnungsvoller Film: Die Gleichgültigkeit geht weiter.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/windspiel-2018