Mr. Long (2017)

Ein kulinarischer Killer

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Mr. Long (Chen Chang) ist ein Auftragsmörder aus Taiwan. Er ist jung, gutaussehend und ein eher stiller, nachdenklicher Typ. Seine Lieblingswaffe ist das Messer. Mit dem kann er blitzschnell einer Menge an Leuten den Garaus machen. Sein neuer Auftrag ist in Japan. Dort soll er einen jungen Gangster töten. Die Gründe hierfür sind egal. Mr. Long fragt nicht.

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Doch etwas geht schief und Mr. Long gerät in die Fänge der Gangster, die er töten sollte. Doch kurz bevor sie ihn kalt machen, unterbricht ein anderer Mann sie. Sein Glück, er kann mit einer Schusswunde entkommen und versteckt sich, stark blutend in einer Siedlung mit verlassenen Häusern. Bis hierhin hat Sabus neuer Film Mr. Long schon zwei Gemetzel hinter sich. Aha, ein recht typischer Gangsterfilm, möchte man meinen, doch für sonst Übliches ist Sabu nicht bekannt. Eher dafür, dass er gerne mixt und mit viel Experimentierfreude seine ProtagonistInnen auf unausgetrampelten Pfaden voranschreiten lässt. Und so endet hier der Gangsterfilm erst mal und es beginnt… ja, was eigentlich? Ein kleiner Junge, Jun (Run-yin Bai), findet ihn und bringt ihm nacheinander folgende Sachen: Wasser, Verbandszeug, Klamotten und ein wenig Gemüse. Das päppelt Mr. Long recht gut wieder auf. Er folgt Jun und findet ihn in einer der verlassenen Häuser wieder. Dort ist auch Lily, die Mutter des Jungen (Yiti Yao), die drogenabhängig und völlig zugedröhnt inmitten eines riesigen Chaos sitzt. Mr. Long ist kein zögerlicher Mann. Er packt sie, taucht sie in kaltes Wasser, wickelt sie in einen Teppich und zwingt sie, ohne je ein Wort zu verlieren, zu einem kalten Entzug. Dabei kocht er ihr Suppe. Wie sich schnell herausstellt, ist Kochen sein zweites Talent nach dem Töten. Ein weiterer Nachbar, ein alter Mann mit Gemüsegarten, taucht auf und ist begeistert von Mr. Longs Essen. Dann kommen mehr und mehr Nachbarn und Freunde, die den Mann gegen seinen Willen oder sein Zutun sofort aufnehmen, ihn recht penetrant mit Liebe, Hilfe und Gemeinschaft überschütten und ihm sofort einen kleinen Karren bauen und alles arrangieren, damit er taiwanesische Rindernudelsuppe (wunderbare Erinnerungen an Tampopo werden hier wach) am nächsten Tempel verkaufen kann. So schnell wie Mr. Long war wohl noch nie jemand zwangsintegriert. Jun verlässt ihn ebenfalls nicht mehr. Ihm folgt die Mutter nach der Ausnüchterung.

Mr. Long ist ein überraschender Film über einen Mann, der seine Gefühle vergraben hat und durch einen Zufall in eine Situation gerät, die ihn unkontrolliert und geballt mit der ganzen Schönheit der Humanität überschüttet. Damit macht sich Sabus Film quasi zur Antithese jeglichen Zynismus. Dabei oszilliert der Film irgendwo zwischen einem klassischen Takashi-Miike-Film und Charlie Chaplins The Kid. Der Film lebt vom unglaublichen Charisma des meist stumm spielenden Chen Chang, einem der bekanntesten Schauspieler Taiwans, der hier im Westen zuletzt wohl in The Assassin zu sehen war. Sein Gesicht allein ist hier oft ein enigmatischer Bannkreis, dem man sich nicht entziehen kann. Dabei muss man sich allerdings erst an dieses wunderbare Werk gewöhnen. Nach einer knalligen Anfangssequenz wird der Film stark verlangsamt und ruhig. Dabei bleibt er aber stets ein wenig eigenartig und unergründbar, sodass man doch immer interessiert dabei bleibt und sich fragt, was wohl als Nächstes passieren wird. Doch Chen Changs Mr. Long ist nicht die einzige interessante Sache an diesem Werk. Auch Lily, die nach und nach ihre ganz eigene Geschichte bekommt, gibt dem Film einen weiteren, weitaus tragischeren Dreh. Sie geriet einst in die Hände des Mobs und war Prostituierte. Als sie sich verliebte und schwanger wurde, wurde ihr Freund von den Gangstern zusammengeschlagen. Sie selbst rannte fort, doch ihr Leben wurde nur noch schlimmer.

Neben den Charakteren und den vielen emotionalen Facetten, hat dieser Film noch einen weiteren Vorteil: er hat Stil. Die Bilder sind perfekt kadriert, die Farben satt und kontrastreich mit einer Tendenz zu Blau/Grau und Ockerfarben. Überhaupt Farben: Sabu weiß sie genau einzusetzen und so ganz subtil die Stimmung des Filmes weiterzutragen. All dies, in seiner Gesamtheit, macht wieder einmal klar, dass dieser Regisseur ganz eindeutig zu den Autorenfilmern gehört, die man unbedingt im Auge behalten sollte.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/mr-long