Spiegelbilder

Die Geister, die sie rief

Eine Filmkritik von Jelena Čavar

Ein heruntergekommenes Haus ist am Anfang zu sehen, eingebettet in einer nebligen Seenlandschaft. Eine Frau am Hügel blickt hinab auf die Frau vor diesem Haus. Die Frau vor dem Haus blickt wiederum hinauf auf die Frau auf dem Hügel. Ein paar Mal kommt hier das Schuss-Gegenschuss-Verfahren zum Einsatz, bis dem Zuschauer schließlich dämmert: das muss eine Doppelgängerin sein. Bei dieser Frau handelt es sich aber um ein und dieselbe Person, sogar der Mantel, den beide anhaben, ist ident. Diese Montage beschreibt auf der einen Seite einen Zeitsprung in der filmischen Zeit von Robert Altmans Spiegelbilder. Auf der anderen Seite gibt diese Sequenz Einblicke in das verwirrende Seelenleben der Protagonistin.
Während eines Aufenthalts im Wochenendhaus am See wird die Kinderbuch-Autorin Cathryn (Susannah York) immer wieder von der sehr real wirkenden Gestalt ihres toten Liebhabers Rene (Marcel Bozzuffi) heimgesucht. Gerade deswegen ist sie mit ihrem Mann Hugh (René Auberjonois) aus London geflüchtet und jetzt ist ihr Rene gefolgt. Zumindest hält sie ihn für eine Einbildung, einen Streich, den ihr das eigene Bewusstsein spielt. Sie ist sich sicher, dass er tot ist – ist er doch vor drei Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Oder ist er doch real? Von Anfang an kann man sich nicht sicher sein, was in Cathryn vorgeht. Kann es ein, dass der von Eifersucht geplagte Gatte ihr nur einen Streich spielt?

Cathryns Welt – ob real oder nicht – ist kein einladender Ort. Ihre Realität besteht aus mehreren Ebenen, die weder ihr noch den Zuschauern klar sind. Die Gewissensbisse, die sie plagen, geben ihr keine Ruhe. Die Szenen im Haus sind überwiegend als Kammerspiel inszeniert. Hier liegt eine der Stärken des Films: Spiegelbilder ist auch eine Art Psychogramm. In der kühlen Herbstlandschaft Irlands (wo die Dreharbeiten stattfanden) wird das Innerste der Protagonisten ziemlich unbequem und gewaltvoll nach Außen gestülpt. Als dann in der Mitte des Films der handgreifliche Nachbar Marcel (Hugh Millais) und seine Tochter Susannah (Cathryn Harrison) ins Spiel kommen, eskaliert die Situation. Eine gewisse sexuelle Frustration und angedeutete Abneigung gegenüber ihrem Ehemann Hugh, Cathryns Kinderlosigkeit und ihr Wunsch nach einem Kind lassen sie verzweifeln. Das von Cathryn gesprochene Voice-over erzählt Passagen aus dem von Susannah York geschriebenen Kinderbuch In Search of Unicorns.

Der Score mit der schaurigen Musik von Komponist John Williams ist aus heutiger Sicht ein erprobtes Stilmittel. Genauso wie die Darstellung von Cathryns Schizophrenie die Bandbreite des audiovisuellen Mediums auszuschöpfen pflegt, werden beim Publikum durch Ton und Bild Unsicherheiten gestreut. Die Kamera von Vilmos Zsigmond verliert oft den Fokus, blendet ein und aus, zeigt verschwommene und glänzende Oberflächen. Immer wieder schweift ihr Blick von den Figuren ab und werden transparente Fensterscheiben, zoomende Kameralinsen, reflektierende Spiegel, funkelnde Augäpfel, tanzende Windspiele und bluttriefende Messerklingen in Detailaufnahmen und als Projektionsflächen gezeigt. Die wachsende Unruhe in Cathryns Innenleben wird in mit gespenstischen Geräuschen untermalten Einstellungen transportiert.

Das umfangreiche Œuvre des US-amerikanischen Filmemachers Robert Altman erstreckt sich über die gesamte zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Robert Altman hat retrospektiv betrachtet in diesem frühen Werk – der Film ist aus dem Jahr 1972 und zwischen MASH und Nashville entstanden – einen sehr atypischen Altman-Film abgeliefert, der oft im selben Atemzug mit Drei Frauen genannt wird. Spiegelbilder ist ein dichter Psychothriller, der sich auch in der Anzahl der Figuren von seinen bekannteren Ensemble-Dramen unterscheidet. Umso eindrucksvoller zeigt er dabei Altmans vielseitiges Können als Autorenfilmer. Vor allem Fans des surrealen und nicht-linearen und nicht-konventionellen Erzählkinos werden große Freude mit diesem technisch sehr versierten Klassiker haben, der eine intensive und beklemmende Studie der menschlichen Psyche ist. Und deswegen ist der Film mit dieser DVD-Neuerscheinung sowohl als Neu- als auch als Wiederentdeckung ein lohnendes Filmereignis.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/spiegelbilder