Die Gabe zu heilen

Im Besitz besonderer Energie

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Alle reden von postfaktischen Zeiten, manche drehen auch schon Filme darüber. Der deutsche Dokumentarfilmer Andreas Geiger (Wochenendkrieger) stellt in Die Gabe zu heilen fünf selbsternannte Heiler vor, die Hilfesuchende mit der Kraft ihres Geistes behandeln. Mit Pendeln, Handauflegen, Intuition oder seherischen Fähigkeiten rücken sie den geäußerten Beschwerden zu Leibe. Am Ende der oft ruckzuck verlaufenden Behandlungsgespräche sind die Klienten dann je nach Sprechweise okay, von Dämonen befreit oder haben ihre Selbstheilungskräfte aktiviert bekommen.
Die zwei Landwirte, der Bademeister und die Erzieherin haben ihre Fähigkeiten nicht durch Ausbildung, sondern durch Berufung erlangt oder immer schon gehabt. Selbst die aus einer mongolischen Nomadenfamilie stammende approbierte Ärztin Ojuna Altangerel, die in der Schweiz praktiziert, stützt sich bei dieser Art von Tätigkeit auf ein individuelles Gedankengebäude, das unter anderem auf die enge Verbindung zu ihren Ahnen vertraut. Die Selbstlegitimation durch Einbildung verleiht diesen fünf Protagonisten auch etwas Grundehrliches. Sie legt das Prinzip des Wunder- und Aberglaubens stärker offen als dies beispielsweise bei homöopathischen Ärzten der Fall ist, die auf Kosten von Krankenkassen behandeln dürfen und Mittel verordnen, in denen praktisch keine Wirksubstanz vorhanden ist. Die Heiler haben Zulauf, denn wenn es um die Gesundheit geht, neigt der Mensch ganz gerne zu postfaktischer Vereinfachung und Wunschdenken.

Der schwäbische Bademeister Stephan Dalley sagt, "nur das, was du glaubst, tritt ein". Seiner Meinung nach lautet die Botschaft von Jesus "werdet vollkommen wie ich und ihr werdet Dinge tun wie ich und noch größere". Der österreichische Landwirt Robert Baldauf hat von Engeln und durch Pendeln die Eingebung für sein blutstärkendes Kräuterelixier erhalten, das er in Flaschen unters Volk bringt. Er erstellt pendelnd Diagnosen und sagt einer Klientin, er wolle Dämonen aus ihrem Körper vertreiben, was bei ihr zu einer kleinen Schrecksekunde führt.

Humorvolle Momente wie diesen gibt es zuhauf. Daraus aber auf eine kritische oder distanzierte Einstellung des Filmemachers schließen zu wollen, ginge zu weit. Vielmehr ist eine spezifische Haltung hinter der Kamera nicht erkennbar, weil sich Momente des Zweifelns und des Staunens neutralisieren und die unkommentierte Beobachtung einfach so dahinplätschert, als könnten die Versuche dieser Menschen, Gutes zu tun, schlimmstenfalls nur wirkungslos bleiben. Zur Sicherheit erscheint im Abspann noch ein Texthinweis, dass die Behandlung bei einem Heiler keinen Arztbesuch ersetzt. Aber es gibt im Film keine flankierenden Expertenmeinungen. Die Erfolge der gezeigten Behandlungen – bei allen fünf Protagonisten wird auch in den Sprechstunden gedreht – bleiben eher vage angedeutet, in den meisten Fällen sogar gänzlich unbekannt. Auch um das Thema Geld wird weitgehend der Mantel des Schweigens gehüllt.

In den Sprechstunden kommt es dann schon mal zu prekären Situationen. Stephan Dalley hält seine Konsultationen im Beisein mehrerer Leute ab. Da muss nun ein junges Mädchen in Gegenwart anderer beichten, nachts einzunässen. Der Heiler fragt nach den familiären Verhältnissen, fährt mit den Handflächen über Kopf und Körper des Mädchens in der Luft herum, fertig. Ojuna Altangerel sagt einem kleinen Jungen, dass seine Sorge um den herzkranken älteren Bruder den Tumor in seinem Kopf verursacht hat. In die Irre geführt zu werden, ergibt jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit neue Belastungen und kann den Weg zu einer fundierten therapeutischen Behandlung verstellen.

So lädt der Film mit seinen womöglich unbeabsichtigt abschreckenden oder peinlichen Beispielen zur kritischen Betrachtung eigener postfaktischer Neigungen ein. Mündige BürgerInnen müssen ihre Überzeugungen in einer Gesellschaft mit vielen Wahlmöglichkeiten eben stärker reflektieren, als dies in grauer Vorzeit nötig war.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-gabe-zu-heilen