Einen Freund zum Geburtstag

Get the Evangelical Pool Party Started!

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Der US-Drehbuchautor und -Regisseur Stephen Cone hat bereits eine Reihe von beachtenswerten Indie-Werken über das Erwachsenwerden vorgelegt, in denen sich junge Menschen mit ihrer Sexualität und mit ihrem christlichen Glauben auseinandersetzen müssen – beispielsweise das sensible Drama The Wise Kids (2011). Auch in dem 2015 uraufgeführten Ensemblestück Einen Freund zum Geburtstag (Henry Gamble's Birthday Party) bleibt sich der 1980 geborene Filmemacher treu und fängt einen aufwühlenden Tag – den 17. Geburtstag – seines Protagonisten Henry Gamble (Cole Doman) ein.
Henry liebt Musik, redet in einem Podcast über Bands, die er cool findet – und hat seinen besten Kumpel Gabe (Joe Keery) bei sich übernachten lassen. Während dieser von der attraktiven Emily (Mia Hulen) schwärmt, scheint Henry beim gemeinsamen Masturbieren eher von Gabe angetan zu sein. Henrys Vater Bob (Pat Healy) ist Pfarrer; zusammen mit Henrys Mutter Kat (Elizabeth Laidlaw) wohnen die drei in einem großen, luxuriösen Haus mit Swimmingpool; Henrys Schwester Autumn (Nina Ganet) geht seit Kurzem auf ein christliches College, ist aber gerade erstmals zu Besuch. Allmählich treffen die Gäste zur Geburtstagsfeier ein – sowohl Gleichaltrige als auch Bekannte von Henrys Eltern. Die ältere Rose (Meg Thalken) taucht mit ihrem erwachsenen, labil anmutenden Sohn Ricky (Patrick Andrews) auf, über den eine heikle Geschichte im Umlauf ist; das Ehepaar Bonnie und Larry (Hanna Dworkin und Francis Guinan) steckt in einer Krise, die sich zuspitzt, als Larry beginnt, den von Rose ungefragt mitgebrachten Wein zu trinken. Im Laufe des Tages und des Abends wird im Pool herumgealbert, es wird geflirtet, gelacht und parliert; religiöse Themen werden angerissen und Gerüchte ausgetauscht – bis eine drastische Verzweiflungstat die Partystimmung abrupt zum Kippen bringt.

Einen Freund zum Geburtstag ist ein sehr gut beobachtetes Werk, das sich Familien- und Adoleszenzkonflikten in einem evangelikal geprägten US-Kleinstadt-Kosmos widmet. Einige Momente haben einen deutlich satirischen Ton – etwa wenn Gabe Henrys offensichtliche Zuneigung zu ihm gänzlich verborgen bleibt oder wenn Bob und Larry vor dem Fernseher sitzen und sich nicht im Geringsten an der extremen Gewalt in einem B-Actionstreifen stören, es jedoch sofort als zutiefst unangenehm und höchst unangemessen empfinden, als sich eine (ziemlich harmlos daherkommende) Sexszene anbahnt. Die Figuren sind gewiss überwiegend stereotyp gezeichnet; entscheidend ist aber, dass sich Cone insgesamt nicht über diese Menschen und deren Welt lustig macht. Dies ist kein Film, der den Glauben der Leute als Scheinheiligkeit demaskieren und das Böse dahinter offenbaren möchte; es geht nicht darum, Ignoranz vorzuführen und Lebensentwürfe zu verurteilen – vielmehr darum, ganz genau hinzuschauen und ein Licht auf die Herausforderungen sowie auf die kleinen und großen, inneren und äußeren Kämpfe in diesem Milieu zu werfen.

Wenn Sprüche wie "Hate the sin, love the sinner" in Bezug auf den möglicherweise schwulen Teenager Logan (Daniel Kyri) fallen und alles, was nicht heteronormativ ist, somit als Sünde eingestuft wird, zeigt sich die fragwürdig-konservative Denkweise dieser Partygesellschaft – die Figuren werden indes nicht auf diese Einstellungen reduziert, sondern erstaunlich differenziert und vor allem widersprüchlich eingefangen. Insbesondere die Jugendlichen müssen ihre anerzogenen, erlernten Überzeugungen in ihrem Alltag immer wieder mit den eigenen Bedürfnissen, mit abweichenden Meinungen und der Skepsis anderer in Einklang bringen, wodurch es hier keine allzu feststehenden Weltbilder, sondern nur unaufhörliche Konfrontationen mit alten und neuen Informationen und Gefühlen gibt. So muss sich Autumn etwa von der freigeistigen Cheyenne (Zoe Tyson) die Frage gefallen lassen, wie es denn funktioniere, auf einer christlichen Schule ausgerechnet Biologie zu studieren – mache man da um die Evolutionstheorie einfach mal einen Bogen? Diese Erfahrungen und Situationen werden von dem Ensemble empathisch gespielt; neben dem Newcomer Cole Doman in der Hauptrolle und Joe Keery (Stranger Things) als Kumpel Gabe hinterlässt nicht zuletzt Patrick Andrews als gehemmt wirkender und zunehmend verunsicherter Ricky Eindruck.

Zu den Geschenken, die Henry erhält, zählt eine DVD von Gregg Arakis surrealem College-Trip Kaboom (2010), mit welchem dieser an seine Teenage Apocalypse Trilogy (bestehend aus Totally F***ed Up, The Doom Generation und Nowhere, 1993-1997) anknüpfte. Tatsächlich lässt Cones Sensibilität im Umgang mit juvenilen Gefühlswelten an die Arbeiten des New-Queer-Cinema-Vertreters denken. Von einer bestimmten Person nicht die Beachtung zu bekommen, die man sich von ihr ersehnt, kommt in diesem Alter – wie sowohl Cone als auch Araki zu demonstrieren vermögen – einer Katastrophe gleich; und dem richtigen Menschen gegenüberzuliegen, ihm in die Augen zu schauen und diesen Blick, dieses Gesicht als letztes Bild eines Tages mit in den Schlaf, in die Träume zu nehmen, kann wiederum das ganz große Glück bedeuten. Einen Freund zum Geburtstag endet für den Protagonisten (beinahe) so, wie der Film begonnen hat; die Eröffnungseinstellung wiederholt sich – nur ist in diesem Schluss alles ein bisschen schöner und ehrlicher. In diesem Punkt unterscheidet sich Cone dann von Araki: Er gönnt seinem Helden nach einer Tagesreise durch die Hölle der Pubertät einen Funken Hoffnung.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/einen-freund-zum-geburtstag