Der junge Karl Marx (2017)

Zwischen Kino- und Hörsaal

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Wenn am Anfang eines Films ein Crashkurs in Geschichte durch Texteinblendungen gegeben wird und kurz darauf mittels Voice-over Montesquieu zitiert wird, kann dies der Auftakt zu extrem schwerer filmischer Kost sein. Was uns der Filmemacher Raoul Peck (I Am Not Your Negro) in den folgenden zwei Stunden mit Der junge Karl Marx offeriert, ist jedoch ein durchaus goutierbares Biopic, dem es gleichwohl an der Fieberhaftigkeit seines Titelhelden mangelt.

Der Film widmet sich einer Lebensphase des 1818 in Trier geborenen Philosophen und Theoretikers Karl Marx (August Diehl) als Exilant in Paris sowie später in Brüssel, beginnend im Jahre 1844. Mit seiner Frau Jenny (Vicky Krieps) und der gemeinsamen Tochter fristet er ein bescheidenes Dasein, das er mit Schreibaufträgen von Arnold Ruge (Hans-Uwe Bauer), seinem ehemaligen Chef bei der Rheinischen Zeitung, finanziert. Im englischen Manchester sucht Friedrich Engels (Stefan Konarske) – Sohn eines bourgeois-ausbeuterischen Fabrikbesitzers – unterdessen den direkten Kontakt zur Arbeiterklasse, um aus erster Hand über deren Lebens- und Tätigkeitsbedingungen schreiben zu können. Dabei lernt er die irische Baumwollspinnerin Mary Burns (Hannah Steele) kennen und lieben. Als Marx und Engels sich in Frankreich begegnen, werden sie bald zu Kollaborateuren: In ihrer Zusammenarbeit – die (vorerst) im Kommunistischen Manifest gipfelt – entstehen Ideen, die in ihrer Präzision weit über das hinausgehen, was zum Beispiel der Sozialist Pierre-Joseph Proudhon (Olivier Gourmet) oder der Kommunist Wilhelm Weitling (Alexander Scheer) in deren Schriften und Reden formuliert haben.

Den jugendlichen Furor, den August Diehl unter anderem in Was nützt die Liebe in Gedanken (2004) an den Tag legte (als er selbst etwa in dem Alter war, das er nun in Der junge Karl Marx verkörpert), lässt der Schauspieler in der Interpretation des nach Veränderung strebenden Mannes zuweilen vermissen. Stark ist allerdings stets Diehls Zusammenspiel mit Vicky Krieps – gerade weil darin nicht das Klischee der 'Frau an der Seite des Genies' bedient wird, sondern sich eine Beziehung auf Augenhöhe zeigt, in der Geldsorgen und Verantwortungen besprochen werden. Pecks Werk ist eher ein Film, der in Einzelszenen, weniger hingegen in seiner Gesamtheit zu überzeugen vermag. So bleibt neben den Interaktionen zwischen dem Ehepaar etwa die Passage in Erinnerung, in welcher Marx und Engels erstmals in der Erzählung (und zum zweiten Mal in deren Leben) aufeinandertreffen: Die Malicen, die die beiden Männer sich zuwerfen, wandeln sich plötzlich in Bekundungen des gegenseitigen Respekts. Gewiss haftet auch diesem Moment etwas Künstlich-Theatralisches an; dennoch hat er Witz und wirkt dynamisch. Gleiches gilt für Engels erste, äußerst schmerzhafte Konfrontation mit dem irischen Proletariat sowie für einen Dialog zwischen Engels und Jenny Marx über das Stürzen der alten Welt und für die diversen kleinen Einschübe, die das Banale neben dem Großen, Subversiven anklingen lassen – von nicht eingehaltenen Text-Abgabefristen bis hin zu mühseligen Auftragsarbeiten. In der Mehrheit der Szenen muten die Diskussionen zwischen den Figuren – ob zwischen Gleichgesinnten oder entgegengesetzten Parteien – indes zu gestelzt an; als Zuschauer_in wähnt man sich oft beinahe im Proseminar statt im Kinosaal. Wenig hilfreich sind hier wiederum die forcierten Action-Einlagen, wenn Marx und Engels beispielsweise vor der Polizei flüchten. Die Aufnahmen des Kameramanns Kolja Brandt sind gekonnt; die Kostüme und das Produktionsdesign lassen Sorgsamkeit erkennen – die nötige innere sowie äußere Spannung und Dringlichkeit entwickelt sich trotzdem zu selten.

Ein Film über die Rastlosigkeit eines revolutionären Denkers müsste im Idealfall dazu animieren, sich mit Elan und frischem Blick dessen Œuvre zuzuwenden; er müsste die Lust wecken, (erneut) im Kommunistischen Manifest zu blättern, um die Bilder, Worte, Gesten und Emotionen des soeben gesehenen Biopics mit dem Niedergeschriebenen zu verknüpfen und beides – den erschaffenen Kino-Kosmos sowie das historische Dokument – kritisch zu hinterfragen, Bezüge zum Hier und Jetzt, zu unserer heutigen Gesellschaft herzustellen. Dazu reichen die gelegentlichen Glanzpunkte in Der junge Karl Marx dann aber leider nicht ganz. Was bleibt, sind zwei solide kinematografische Geschichtsstunden, ein gut gemachtes period piece, das gehobene Leinwand-Unterhaltung bieten kann.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/der-junge-karl-marx