Exhibition on Screen: David Hockney in der Royal Academy of Arts

Gegen die Tyrannei der Fotografie

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

David Hockney versteht seine Bilder, so sagt er es selbst, als einen Angriff auf die Tyrannei der Fotografie, nämlich der einen Linse, die die Perspektive vorgibt. In seinen Videoarbeiten verwendet er deswegen gleich achtzehn Kameras, die seine fragmentierte Wahrnehmung einer bestimmten Landschaft spiegeln und gleichzeitig auf mehreren Bildschirmen wiedergeben. Ironischerweise ist es aber doch oft die eine Linse, die David Hockney selbst in den Blick nimmt: Randall Wright drehte 2015 den Dokumentarfilm Hockney über den britischen Maler, Luca Guadagnino ließ sich für seinen Erotikthriller A Bigger Splash vom gleichnamigen Gemälde inspirieren. Nun ist David Hockney - wie so viele Maler vor ihm, doch als erster lebender Künstler - auch zum Gegenstand eines neuen Films der britischen Exhibition-On-Screen-Reihe geworden.

David Hockney at the Royal Academy of Arts folgt bisher am konsequentesten der Grundidee dieser Filmreihe, Kunstausstellungen auch für Interessierte erlebbar zu machen, die nicht zu jedem Museumsereignis extra anreisen können. Darin unterscheidet er sich deutlich von konventionellen Dokumentarfilmen über Künstler: es gibt kein Archivmaterial zu sehen, keine Nacherzählung eines Lebens. Als roter Faden des Films dienen hingegen zwei Ausstellungen, die 2012 und 2016 in der Londoner Royal Academy of Arts gezeigt wurden: David Hockney: A Bigger Picture und David Hockney: 82 Portraits and 1 Still-life. Der bekannte britische Kunsthistoriker Tim Marlow (in seiner Show Marlow on Style bespricht er im britischen Fernsehen aktuelle Ausstellungen) sagt anfangs einige einleitende Worte über Hockney, generell hält sich der Regisseur und Initiator der Filmreihe Phil Grabsky aber mit talking heads zurück. Sollten doch einmal Experten sprechen, zeigt er währenddessen Gemälde, die das Gesagte illustrieren: mal in Frontalaufnahmen eines kompletten Tableaus, mal lässt er den Blick durch die Ausstellungsräume schweifen, mal fährt er ganz nah an ein Detail in den Bildern heran. Die Kamera imitiert die Bewegungen des Besuchers in einer Galerie. Der Schwerpunkt des Films liegt aber auf den ausführlichen Interviews mit David Hockney höchstpersönlich, die Tim Marlow (er scheint dabei verständlicherweise ein wenig starstruck) führt. So fühlt sich David Hockney at the Royal Academy of Arts tatsächlich ein bisschen so an wie eine bessere Ausstellung: inklusive exklusiver Führung in Anwesenheit des Künstlers, ohne Drängelei oder Mikrofonprobleme.

Der Film beginnt in der Ausstellung mit den Landschaftsgemälden. Gemeinsam mit Hockney bewegt man sich durch die Räume, er berichtet von seinen Methoden und Herangehensweisen, bevor wir vier Jahre weiter zur zweiten Show springen. Der Künstler ist in der vergangenen Zeit merklich gealtert, in den Interviews setzt er sich nun lieber. Für die 82 Portraits hat er seine Modelle auf einem einfachen Stuhl vor einem blauen Hintergrund Platz nehmen lassen und in jeweils drei Tagen ihr Bild gemalt. Die Abgebildeten stammen aus seiner direkten Umgebung - vom millionenschweren Kunstsammler bis zu dem Mann, der sein Auto wäscht. Es ginge Hockney in erster Linie um die Individualität all dieser Menschen, erklärt die Kuratorin. Diese etwas niedrigschwellige Interpretation verweist schon auf eine generelle Schwäche der Exhibition-on-Screen-Reihe, die mit ihrer selbst gestellten Aufgabe nahezu automatisch einhergeht: Sie befasst sich recht unkritisch vor allem mit Künstlern, die einem breiten Publikum leicht zugänglich sind oder sich als leicht zugänglich missverstehen lassen. Auch David Hockney gilt vielen Kunstverständigen eher als guilty pleasure.

Tatsächlich sehenswert ist aber, wie David Hockney at the Royal Academy of Arts den Malprozess nachvollziehbar werden lässt - damit kommt der Film auch dem tatsächlichen Anliegen des Künstlers wieder näher. Grabsky zeigt die Phasen seiner Arbeit: auf dem iPad angefertigte Skizzen, verschiedene Stadien in der Entstehung der Gemälde. Hockney will auch die Füße seiner Modelle im Bild haben, weil er ihre Schuhe so ausdrucksstark findet. Also muss er mit verschiedenen Stühlen experimentieren. Immer wieder stößt er auf die verschiedensten Herausforderungen: Weil der rote Taftrock einer Frau bei jedem Hinsetzen andere Falten wirft, muss er ihn in einem einzigen Durchgang malen. Einem Elfjährigen fällt es schwer, als Modell stundenlang stillzuhalten.

In Close-Ups der Portraits werden Details sichtbar, die im Vorbeigehen in der Ausstellung wahrscheinlich unbemerkt blieben: ein winziger mintgrüner Strich am Ohr einer Frau, das Weiße der Augen, in das sich blaue Tupfen mischen. Wieso trifft ein Maler diese Entscheidung, setzt einen Klecks Farbe genau hier hin und nicht dort? Und was bedeuten diese Kleinigkeiten für das Kunstwerk insgesamt? Weil David Hockney konsequent nach drei Tagen die Arbeit an jedem Portrait der Serie einstellt, wirken manche unvollendet. Von zwanzigstündigen takes oder Belichtungen spricht er halb im Scherz. Damit schließt sich wieder der Kreis zur eingangs erwähnten fotografischen Linse. Hockney bleibt stets im Dazwischen: zwischen analog und digital, zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Darauf angesprochen zwinkert er nur vielsagend in die Kamera: „Everything is an abstraction, really.“
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/exhibition-on-screen-david-hockney-in-der-royal-academy-of-arts