100 Dinge (2018)

Schrumpf dich glücklich

Eine Filmkritik von Falk Straub

Florian David Fitz scheint sein Thema als Regisseur gefunden zu haben: das Glück. Auf das Roadmovie Der geilste Tag, in dem zwei Todkranke lernen, das Leben zu genießen, folgt die nächste Ratgeber-Komödie für die Konsumgesellschaft. Dieses Mal geht es um Verzicht.

Davon haben die besten Freunde Paul (Florian David Fitz) und Toni (Matthias Schweighöfer) noch nie etwas gehört. Die beiden konkurrieren seit Kindertagen. Erst buhlten sie um die Aufmerksamkeit von Pauls Eltern Renate (Hannelore Elsner) und Wolfgang (Wolfgang Stumph), dann um die Liebe einer Mitschülerin, mittlerweile ums Ansehen bei ihren Angestellten in ihrem hippen Berliner Start-up. Ein postpubertärer Schwanzvergleich, durchaus ironisch dargeboten.

Getreu dem alten Werbespot, in dem zwei Bankkunden Fotos ihrer Häuser, Autos und Boote auf den Tisch knallen, montiert Fitz' Komödie Pauls und Tonis Start in den Tag parallel. Hier der durchorganisierte Schönling, der sich vor dem Duschen ans sündhaft teure Rudergerät setzt, seine Espressomaschine liebt und seine Frisur vergöttert, dort der chaotische Schluffi, der sündhaft teure Sneaker stapelt, seine Schrottkarre nicht in die Werkstatt bringt und statt zu duschen lieber mit der von ihm entwickelten App im Bett liegen bleibt. Zwei verspätete Kinder des Kapitalismus, in Ostdeutschland sozialisiert, nach der Wende als Jugendliche den Verlockungen des Westens erlegen. Der eine überkonsumiert bewusst, der andere aus Frust. Von der verführerischen Frauenstimme auf seinem Telefon lässt sich Paul einfach alles andrehen. Dass er damit das perfekte Versuchskaninchen für Tonis Marktforschung abgibt, merkt er viel zu spät. Für einen Programmierer ist sein Umgang mit dem eigenen Smartphone ganz schön blauäugig.

Paul will mit seiner Erfindung die Welt verbessern, Toni lediglich den Warenfluss. Denn die Daten, die Pauls App ganz nebenbei sammelt, versprechen für jeden Kunden maßgeschneiderte Werbung mit eingebauter Kaufgarantie. Das bringt den Jungunternehmern erst ein Vorsprechen bei Talentscout Antonietta Kärcher (Maria Furtwängler), dann ein Millionenangebot von deren steinreichem Auftraggeber David Zuckermann (Artjom Gilz) und schließlich die folgenschwere Wette ein, um die sich der Titel dreht. Aus Wut, von seinem eigenen Programm und seinem besten Freund aufs Kreuz gelegt worden zu sein, ruft Paul im Suff den totalen Konsumverzicht aus. In den kommenden 100 Tagen besitzen die beiden nichts als die Haut an ihrem Leib. Essen und Trinken gibt’s im Büro. Jeden Tag dürfen sie sich einen Gegenstand zurückholen. Wer aufgibt, betrügt oder sich etwas kauft, verliert die Hälfte der Firma an die Angestellten.

Fitz' dritter Spielfilm als Regisseur ist von Petri Luukkainens My Stuff (2013) inspiriert. In diesem dokumentarischen Selbstversuch packte der Finne alles, was er besaß, ein Jahr lang in ein Lager und gönnte sich jeden Tag nur eines seiner Besitztümer. Wie Luukkainen stapfen auch Paul und Toni mitten im Winter splitterfasernackt durch den Schnee. Überhaupt sind sie ziemlich lang leicht bekleidet. So viele nackte männliche Tatsachen waren in einer deutschen Mainstreamkomödie selten zu sehen. Fitz und Schweighöfer wissen aber nicht nur durch ihren Köpereinsatz zu überzeugen. Ihre Hahnenkämpfe sind ziemlich lustig. Besonders die schnell getakteten Dialoge, in denen sich mehr als zwei Gesprächspartner die Punchlines wie Pingpongbälle zuwerfen, sind ein Genuss.

Schauspiel und Drehbuch geraten allerdings schnell an ihre Grenzen. Für den Part des immer unter Strom stehenden Selfmademan, der es allen beweisen will, ist Schweighöfers belfernde Kodderschnauze wie gemacht. Sobald er etwas Tiefe zeigen soll, entgleist ihm aber allzu schnell die Mimik. Fitz verlässt sich derweil etwas zu sehr auf seinen Dackelblick. Sein Charakter des treudoofen Naivlings überzeugt nur bedingt, ist seine Funktion als Identifikationsfigur, die dem Publikum die Augen öffnen soll, doch stets zu erkennen. Ohne eine Romanze kommt die Handlung freilich auch nicht aus. Im Lagerhaus laufen Paul und Toni der geheimnisvollen Lucy (Miriam Stein) in die Arme, die mit ihren ganz eigenen Konsumkrankheiten kämpft. Immerhin hat diese ein Eigenleben und etwas mehr zu tun, als nur den love interest für Toni zu geben. Das größte Potenzial verschwendet Fitz' Geschichte aber bei ihrer Wette. Statt vor Kreativität strotzender, subversiver Konsumkritik ist vorhersehbare Magerkost einer Männerfreundschaft angesagt.

Besitzen wir Dinge oder besitzen die Dinge uns? Und wie viel müssen wir besitzen, um glücklich zu sein? Das sind ganz schön große Fragen, auf die Fitz ziemlich kleine Antworten gibt. Schon die Montagesequenz, die der eigentlichen Handlung vorangestellt ist, macht eine einfache Gleichung auf. Darin sind unsere Urgroßeltern, Großeltern und Eltern zu sehen. Jede Generation besitzt mehr, unsere schließlich im Schnitt 10.000 Dinge. Trotz Wohlstands und Friedens sind wir unglücklich. Doch der simple Umkehrschluss, dass weniger mehr sei und wir uns selbst befreien, wenn wir uns von unserem Besitz befreien, greift zu kurz. Das weiß auch Fitz, der die heiklen politischen Verhältnisse der Vorgängergenerationen, im Film von Pauls Eltern und Oma (Katharina Thalbach) verkörpert, salopp kommentiert und später von einem Obdachlosen eine Bierflasche an den Kopf geworfen bekommt, als er ihn mit Diogenes vergleicht. Das Leben in der Tonne ist eben nicht annähernd so sonnig wie die Luxusprobleme neureicher Hipster.

Mit 100 Dingen lässt es sich leben, die Menschen, die zu wenig zum Leben haben, blendet 100 Dinge indes konsequent aus. So aufklärerisch, konsumkritisch und datensensibel sich Fitz' Komödie auch gibt, letzten Endes bleibt sie ein sehr gut gemachtes, auf ihre Zielgruppe von glückssuchenden Wohlstandskindern zugeschnittenes Produkt. Die Sets samt Loftwohnungen sind toll. Vermieter und Influencer könnten sie auf den entsprechenden Internetplattformen nicht schöner präsentieren. Jeder Schnitt, jede Note, jede Kamerabewegung sitzt. Eine formvollendete Filmversion all der schlauen Ratgeber, die maximales Kapital aus ihren Lobeshymnen auf den Minimalismus schlagen.

Diese Diskrepanz zwischen perfektem Produkt und der Kritik daran lässt den Film bis zum Schluss schlingern. Fitz hält dennoch die Spur, hätte zwischendurch aber gern gewagter abzweigen oder zu einem Überholmanöver ansetzen dürfen. 100 Dinge ist kein sperriges, unbequemes Werk, das einen lange nach dem Kinobesuch beschäftigt, sondern eins für den schnellen Konsum, um wie Paul durch einen (Karten-)Kauf vorübergehend die Stimmung aufzuhellen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/100-dinge