Mulan (2020)

Allein unter Männern

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Während Hollywood-Riese Warner Bros. Christopher Nolans Spionagevexierspiel "Tenet" trotz der ungewissen Kinosituation weltweit auf die Leinwände brachte, fehlte Konkurrent Disney der Mut, sein aktuelles Großprojekt "Mulan" ebenfalls exklusiv in den Lichtspielhäusern zu starten. Stattdessen veröffentliche der Micky-Maus-Konzern die Realfilmadaption des gleichnamigen Zeichentrickstreifens vielerorts direkt über das hauseigene Streaming-Portal Disney+. Eine traditionelle Kinoauswertung erfährt die – so wird kolportiert – rund 200 Millionen Dollar schwere Produktion nur dort, wo der zahlungspflichtige Dienst noch nicht angelaufen ist. In einer Zeit, in der es den Filmtheatern immer schlechter geht, hat es der Big Player aus Burbank leider versäumt, ein Ausrufezeichen zu setzen.

Dass Mulan nach einer großen Abspielfläche schreit, zeigt schon der offizielle Trailer, der epische Schlachten und ausladende Landschaftspanoramen anteasert. Die Schauwerte des Films wirken zwar auch auf dem kleinen Bildschirm in den eigenen vier Wänden, entfalten ihre ganze Kraft aber erst auf einer gigantischen Leinwand in einem abgedunkelten Saal. Regisseurin Niki Caro (Die Frau des Zoodirektors) geizt nicht mit rauen, mythisch angehauchten Naturkulissen, lässt die Hauptstadt des chinesischen Kaiserreichs in ihrer ganzen Pracht erstrahlen und erfreut das Auge des Betrachters mit opulenten Kostümen.

Im Zentrum des optisch eindrucksvollen Treibens steht eine junge Heldin, die die Konventionen ihrer starr organisierten Gesellschaft herausfordert. Mulan (Yifei Liu) soll ihrer Familie, wie es für Frauen üblich ist, Ehre durch eine Hochzeit bringen, wird von der strengen Heiratsvermittlerin (Cheng Pei Pei) nach einem unglücklichen Zwischenfall allerdings entrüstet vor die Tür gesetzt. Für Mutter und Vater sei sie eine Schande.

Mulan, die von Kindesbeinen an erstaunliche akrobatische Fähigkeiten besitzt und ihr Temperament nur schwer im Zaum halten kann, bietet sich wenig später die Möglichkeit, die ihr angedachte Rolle endgültig abzustreifen. Weil der Kriegstreiber Böri Khan (Jason Scott Lee) und seine mächtige Verbündete, die Hexe Xianniang (Gong Li), das Kaiserreich zu überrennen drohen, soll jede Familie einen Mann zum Kämpfen abstellen. In Ermangelung eines Sohnes stellt sich Mulans körperlich angeschlagener Vater (Tzi Ma) selbst zur Verfügung. Doch noch bevor er zum Antritt des Militärdienstes aufbrechen kann, macht sich seine Tochter, die heimlich sein Schwert entwendet hat, auf den Weg. Ihr wahres Geschlecht verbergend, beginnt sie kurz darauf mit dem harten Training, bei dem sie stets eine Enttarnung fürchten muss.

Auch wenn bereits der 1998 erschienene, auf einer chinesischen Volksballade basierende Zeichentrickfilm Mulans Emanzipation in den Fokus rückt, muss man 22 Jahre später konstatieren, dass es ärgerlicherweise noch immer zu wenige Abenteuergeschichten mit selbstbewussten Frauenfiguren gibt. Vor diesem Hintergrund ist die Auffrischung der Mulan-Erzählung ein Segen, zeigt sie doch, dass man Konventionen und Rollenbilder nie als gegeben hinnehmen darf. Niki Caro und die vier (!) Drehbuchautoren schaffen es allerdings nicht, den Aufbruch der Protagonistin zu einer emotional komplexen Reise zu erweitern. In einigen Szenen wird der emanzipatorische Gedanke derart explizit ausbuchstabiert, dass sich das Ganze manchmal anfühlt wie ein Thesenfilm. Die Charakterisierung Mulans als von der Dorfgemeinschaft kritisch beäugter Wirbelwind erfolgt gleich in der Auftaktsequenz. Danach leuchtet das recht geradlinige Skript seine Handlungsträgerin jedoch nur noch selten aus und verpasst ihr lieber die Aura einer Superheldin mit besonderen Kampfkünsten. Potenzial blitzt vor allem in den Begegnungen mit der Gestaltwandlerin Xianniang auf, die die Parallelen zwischen ihren Erfahrungen als Außenseiterinnen aufzuzeigen versucht. Hier hätte man sicher noch tiefer bohren und der Hauptfigur eine ambivalente Haltung geben können. Gut und Böse bleiben dann aber doch klar voneinander getrennt.

Die spürbar vom fernöstlichen Martial-Arts-Kino beeinflussten Action- und Kampfpassagen sind gelungen und fallen mitunter – etwa zu Beginn, wenn eine junge Mulan (Crystal Rao) in einer waghalsigen Sprung- und Kletterpartie einem ausgebüxten Huhn nachjagt – erfrischend verspielt aus. Die schwungvolle Inszenierung entschädigt allerdings nur bedingt dafür, dass die Macher die Emanzipationsgeschichte allenfalls routiniert statt inspiriert abspulen. Vollständig lösen darf sich die Protagonistin übrigens von den alten Strukturen nicht. Auch wenn sie am Ende ihren eigenen Weg gefunden hat, sind Familie und Kaiserreich – Systeme also, die die Entfaltung von Frauen bislang beschnitten haben – für sie weiterhin wichtige Bezugspunkte.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/mulan