Der Vorname (2018)

Entlarvende Gesellschaftskomödie als Kammerspiel

Eine Filmkritik von Eugen Zentner

Die Stimmung in Deutschland ist aufgeheizt, nicht erst seit Chemnitz. Seit Jahren kämpfen Vertreter unterschiedlicher Ideologien, Lebensstile und sozialer Klassen öffentlich um die Meinungshoheit. Dabei geht es bisweilen sehr ruppig zu. Ein falsches Wort genügt, und schon kocht die Diskussion hoch, bis die jeweiligen Parteien sich Beleidigungen an den Kopf werfen. Es entsteht eine Spirale von An- und Beschuldigungen, die Vernunft und Toleranz außer Kraft setzt.

Wie gereizt die Atmosphäre ist, demonstriert Sönke Wortmanns neuer Film Der Vorname, ein Kammerspiel, in dem ein Abendessen den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft versinnbildlicht. Als Gastgeber fungiert das bildungsbürgerliche Ehepaar Stephan (Christoph Maria Herbst) und Elisabeth (Caroline Peters) – er ein sprach- und selbstverliebter Literaturprofessor, sie eine Gymnasiallehrerin, die seinetwegen auf eine Karriere an der Universität verzichtete. Eingeladen haben sie den Familienfreund René (Justus von Dohnányi), einen sanftmütigen Klarinettisten, Elizabeths Bruder Thomas (Florian David Fitz) und dessen schwangere Freundin Anna (Janina Uhse), die jedoch etwas verspätet kommt. Zu diesem Zeitpunkt hat die kleine Runde bereits ein aufreibendes Wortgefecht hinter sich. Ausgangspunkt war die Frage, welchen Vornamen sie dem noch ungeborenen Kind zu geben gedenken. Als Thomas verkündet, er und Anna hätten sich entschieden, ihren Sohn Adolf zu nennen, ist die Aufregung groß.

Dass der großmäulige Immobilienmakler sich bloß einen Spaß erlaubt hat, um seinen wertkonservativen Schwager aus der Reserve zu locken, spielt irgendwann keine Rolle mehr. Der verrufene Vorname setzt einen Streit in Gang, bei dem die Fronten mehrmals wechseln und jeder ins Kreuzfeuer gerät. Es geht um Jugendsünden und Geheimnisse, um niederträchtige Charaktereigenschaften, Vorurteile und verlorene Träume. Die Vorwürfe nehmen kein Ende. Nach und nach kommen pikante Informationen ans Licht, die keinen der Beteiligten gut aussehen lassen.

Die Prämisse ist schlicht, aber weitreichend: Was würde die Gesellschaft wohl sagen, wenn ein Kind im frühen 21. Jahrhundert den Namen Adolf erhielte? Adolf – wie der Diktator und Nationalsozialist Adolf Hitler, der sechs Millionen Juden umbringen ließ und den Zweiten Weltkrieg mit 50 Millionen Todesopfern anzettelte. Diese Frage warfen Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte in ihrem Theaterstück Le Prénom auf, das 2010 in Paris seine Premiere feierte und schließlich als Inspirationsquelle für Der Vorname diente. Wortmanns Film leistet aber mehr, als nur eine deutsch gefärbte Antwort abzugeben. Er führt auch die Mechanismen vor Augen, unter denen öffentliche Debatten mittlerweile ablaufen. Es sind nicht Lösungsbemühungen, die den Dialog dominieren, sondern Schuldzuweisungen, wobei sich die Teilnehmer im Laufe der Auseinandersetzung zunehmend radikalisieren und irgendwann ungezügelt aufeinander losgehen. Mit der Intensität des Schlagabtauschs treten aber auch immer eindeutiger Eitelkeiten, Selbstgerechtigkeit und Scheinheiligkeit an die Oberfläche. All diese Elemente findet man verdichtet in der Dramaturgie dieses Kammerspiels wieder.

Mit Der Vorname gelingt Sönke Wortmann eine amüsant-entlarvende Gesellschaftskomödie, die überwiegend von ihren knackigen Dialogen lebt. Streckenweise entfalten sie eine derartige Wucht, dass sie, was Eleganz und Esprit betrifft, der Virtuosität Aaron Sorkins sehr nahe kommen. An dem Schnellfeuergerede scheinen auch die Darsteller Gefallen zu finden. Die Spiellust ist ihnen in jeder Szene anzusehen, was daran liegen mag, dass ein solch intensives Ensemblestück ihnen Raum gibt, sämtliche Register ihres Könnens zu ziehen. Umwerfend ist vor allem die Performance von Christoph Maria Herbst, der mit aggressivem Sprachduktus und vielsagender Mimik überzeugt. Wenn seine Figur in den Angriffsmodus schaltet, erinnert sie teilweise an Herbsts Paraderolle als Bernd Stromberg. Selbstüberschätzung paart sich mit Humor, Eloquenz mit sozialer Unbeholfenheit.

An schrulligen Macken fehlt es auch den übrigen vier Charakteren nicht. Wenn sie aufeinanderprallen, sorgen sie mit treffsicheren Pointen für viel Komik, die mitunter daraus entsteht, dass die Zuschauer gegenüber einigen Figuren einen Informationsvorsprung haben. Solche Zutaten machen den Film zum Vergnügen. Enttäuschend ist nur das Ende, bei dem sich die Macher unnötigerweise bemühen, das Publikum mit einem Wohlgefühl aus dem Kino zu entlassen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/der-vorname-2018