Aufbruch zum Mond (2018)

Mann im Mond

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Neil Armstrong (Ryan Gosling) fällt förmlich mit seinem Flugzeug aus dem Himmel herunter in die Kadrierung der fliegenden Kamera, die Damien Chazelle in "Aufbruch zum Mond" auf ihn richten lässt. Die ersten Minuten des Film sind erfüllt von Adrenalin. Wir sind dabei, wie Armstrong als Pilot ein waghalsiges Flugmanöver absolviert, das ihn kurz in den Orbit katapultiert. Die Kamera wackelt, es ist unglaublich laut. Mission Control brüllt ständig Anweisungen, die Maschine knallt und knirscht, es piepsen mehrere Alarmsignale gleichzeitig. Und in all dem Chaos und Durcheinander ein Mann. Stoisch. Atmend. Knöpfe drückend. Dann: Stille. Dunkles All und ein blauer Planet, der sich in Armstrongs Augen widerspiegelt. Die Aussicht ist atemberaubend. Doch dieser Moment der Ruhe hält nicht lang an. Es gibt Probleme, fast bekommt der Pilot die Maschine nicht mehr unter Kontrolle - und dann schafft er es doch. 

Im Cockpit, ob als Pilot oder später als Astronaut der Gemini- und Apollo-Missionen, ist Armstrong erfolgreich. Sein Beruf ist gefährlich, aber - so redet es sich der Pilot und Ingenieur zumindest selbst ein - berechenbar. Im wahrsten Sinne des Wortes. Was Armstrong derweil zurück auf der Erde nicht kontrollieren kann, ist das Leben. Seine kleine Tochter stirbt an einem Hirntumor. Ein herber Verlust und bei weitem nicht der einzige, denn als er danach zur NASA geht, um dort gemeinsam mit vielen anderen das Wettrennen um den Weltraum für sein Land zu gewinnen, werden noch viele Verluste hinzukommen. Freunde, Kollegen, Piloten und Astronauten, sie fallen vom Himmel, verbrennen und sterben für die Sache. Und Armstrong? Schweigt und bleibt stumm in seiner Trauer. Umso obsessiver wird sein Wunsch, die große Mission erfolgreich zu absolvieren und der erste Mann auf dem Mond zu sein.

Wie diese Geschichte ausgeht, wissen wir alle. Der Erfolg, das Wandern auf dem Mond, der „kleine Schritt für den Menschen“ ist nur die Drehbuch-Pointe dieses Filmes, das kathartische Finale, auf das man bei solch einer klassischen Heldenreise wartet. Und klassisch ist der Film in vielerlei Hinsicht. Chazelle inszeniert Armstrong als Helden ganz in der Tradition Clint Eastwoods (der 2003, also noch zu Bush-Zeiten die Rechte am Drehbuch kaufte): Ein wortkarger Machertyp mit Prinzipien, dem Ehre und Vaterland wichtig sind. Die Inszenierung gelingt. Gosling spielt mit versteinerter Drive-Miene den spröden, verpanzerten Astronauten, der entweder stumm ins All blickt oder sich in den diversen actiongeladenen Missionen beweist. Diese sind, vor allem durch das phänomenale Sounddesign, hervorragend choreographiert und inszeniert. Man merkt Chazelles Händchen für Rhythmus, Musik und Geräusche – unter anderem Originalmaterial wie das Atmen der Astronauten, welches in der NASA-Datenbank noch vorhanden war -, die er hier auch klassisch als Soundtrack, aber vor allem als Soundeffekte einsetzt, und die das Geschehen perfekt pointieren. Und doch bleibt er immer mit der Kamera auf Goslings Gesicht, der einzigen Konstanten in einem Bild, in dem alles flackert, wackelt und trudelt. Doch bei aller Heldeninszenierung bemüht sich der Film durchaus, diese klassische Figur durch Ambivalenzen und Zerfurchungen ihrer harten Schale etwas zu modernisieren. Der Tod der kleinen Tochter ist ein erstes einschneidendes Erlebnis, das zeigt, dass hinter der Fassade Armstrongs die Trauer ausweglos versucht, sich Bahnen zu schlagen. Auch die weiteren Verluste addieren sich hier schwerwiegend hinzu. 

An diesem Punkt könnte nun Chazelle etwas filmisch bearbeiten, was so zeitgeistig und relevant wie kaum etwas anderes wäre: die Idee von Macht und (neo)-konservativer Männlichkeit in einem durchaus politischen Kontext. Hier kommt alles zusammen: der männliche, emotional und körperlich gepanzerte Armstrong, der sich eine undurchdringliche Schale aus Schweigen und In-die-Arbeit-Vergraben gebaut hat, ist wiederum an einem Projekt beteiligt, bei dem ein Staat, der mit Armut, dem Vietnamkrieg und ermordeten Präsidenten zu kämpfen hat, Millionen in einen Wettkampf mit der Sowjetunion steckt, der darin kulminieren soll, ausgerecht ihn, Armstrong, auf dem Mond laufen zu lassen. Ein Ablenkungsmanöver der ganz großen Art, ein Politikum, auf Blut und Tränen gebaut und noch dazu eine herrlich riesige Metapher dafür, was nicht alles in Bewegung gesetzt wird, um sich ja nicht die eigenen Wunden ansehen zu müssen. Aufbruch zum Mond hat alle Möglichkeiten in der Hand, um auf das gegenwärtige Geschehen im eigenen Land einen kritischen Blick zu werfen und dabei noch historische Rückschlüsse zu ziehen. Denn die Parallelen zwischen der Idee von Macht, der "Tough Guy“-Maskulinität und dem Konservatismus in Trumpschen Zeiten der „Space Force“ etc. spiegelt sich hervorragend in dieser Geschichte wider. 

Tatsächlich kokettiert Chazelle ordentlich damit. Nicht nur mischt er ab und an Ausschnitte aus dem historischen Geschehen außerhalb der NASA-Arbeiten unter; so werden beispielsweise Szenen aus dem Vietnamkrieg und von Kennedys Mondrede gezeigt und gleichzeitig erzählt ein afroamerikanischer Mann davon, dass er kaum seine Miete zahlen kann, während die Weißen zum Mond fliegen. Ähnlich kontrastierend inszeniert er auch Armstrongs Privat- und Familienleben: Seine Frau Janet (Claire Foy) ist es, die nicht nur sein Schweigen um die Tragödien zu ertragen hat, sie muss auch die verbliebenen Kinder aufziehen, ihnen ein Gefühl von Normalität geben und immer wieder verstecken und verklären, dass der unnahbare Vater einen Beruf hat, in dem er jederzeit sterben könnte. Noch dazu ist sie mit ihrer eigenen Angst und Trauer stets allein. Janet ist ans Haus, an die Mutterrolle und die Lüge einer guten Familie gebunden. Sie trägt die emotionale Bürde, die sie, für die Kinder, für die Nachbarn und für die NASA herunterschlucken muss. 

Ist das nun der Grund, wieso wir im Jahr 2018 noch einmal so einen ansonsten klassischen Heldenfilm kredenzt bekommen? Denn man muss sich schon fragen, wieso jetzt die Mondlandung erneut hervorgekramt wird. Ist dies das Erwachsenwerden, das Erwachen des politischen Chazelle, der das Kino und die Lieblingsfigur des Amerikaner benutzt, um hinter die toxische Fassade zu blicken? 

Man hofft es, ist der Film doch auch einer der ersten, dessen gesamte Produktionszeit in die Präsidentschaft Donald Trumps fällt und der somit auch eine Art Lackmustest für die amerikanische Mainstream-Filmszene ist, wie sie mit der Situation umzugehen gedenkt. Doch die Enttäuschung ist groß. Der Film spielt damit, er zeigt, dass er könnte, dass es fruchtbar wäre - und tut es doch nicht. Mit einer Vollbremsung kommt Aufbruch zum Mond schon bald zu einem Halt und Chazelle wirft alles Potential für einen politischen Kommentar sowohl metaphorisch als auch wortwörtlich in einen Mondkrater und wählt den sicheren, den klassischen, den nichts hinterfragenden Gestus der Unterhaltung. Lieber alles doch so lassen, wie wir es kennen. Den Helden ankratzen, ihn ein wenig ambivalent gestalten, aber bitte nicht dekonstruieren. Wie schon in La La Land erliegt Chazelle dem reaktionären Wunsch nach einer heilen, lieben und hübsch unpolitischen Welt und dem Schwärmen für altmodische Ideen des letzten Jahrhunderts, ohne etwas zu hinterfragen.  

Und die tiefen Wunden des Helden, die eingebaut wurden, um ihm Ambivalenz und Tiefe zu geben, was freilich nicht gelingt, weil Armstrong als Figur dank seiner harten Schale gar nicht erreichbar ist? Diese Verletzungen werden am Ende weggezuckt, genau wie das Leiden seiner Frau und Kinder. Genau wie die Toten, auf denen der Wettlauf zum Mond aufgebaut wurde. Alles Ambivalente, Menschliche, Schmerzliche und Dreckige schießt Chazelle am Ende zum Mond, damit Männlichkeit und Heldentum unverletzt bleiben können. Dort, weit weg von der Erde, darf sein Held nach seiner Heldentat in der wohl teuersten Psychotherapiestunde der Menschheit eine einzige Träne vergießen. Aber nur kurz. Denn Männer weinen nicht. Männer erobern und machen Amerika groß.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/first-man