Ballon (2018)

Bully macht Ernst

Eine Filmkritik von Benjamin Wirtz

Michael Bully Herbig – dieser Name stand bisher für witzige, allerdings auch alberne Kinounterhaltung. Doch voriges Jahr feierte er mit seinem Episoden-Comedyfilm Bullyparade – Der Film den Abschied vom Komödiengenre. Bereits 2015 hatte Herbig angekündigt, ernstere Filme drehen zu wollen. Nun stellt er mit "Ballon" seinen ersten Thriller vor.

Herbigs Parodien von Genrefilmen ließen schon erahnen, dass er auch die nicht-parodisierte Form kann. Und mit Buddy, der allerdings an Albernheiten und komödiantischer Einfallslosigkeit scheiterte, zeigte Herbig, dass er große Bilder beherrscht. In Ballon sind die Albernheiten verschwunden, die großen Bilder aber erfreulicherweise geblieben.

Die Geschichte des Films beruht auf wahren Ereignissen: Die Familien Strelzyk und Wetzel wollen Ende der 1970er Jahre aus der DDR in den Westen fliehen. Dafür haben sie sich einen ungewöhnlichen und riskanten Fluchtplan überlegt: In einem selbstgebauten Heißluftballon wollen sie nachts bei Nordwind über die Grenze fliegen. Der Plan geht schief. Nur 300 Meter vor der Grenze stürzt der Ballon ab. Alle Insassen kommen zwar ohne schwere Verletzungen davon, doch nur kurze Zeit später entdeckt die Stasi die Reste des Ballons und leitet eine Großfahndung nach den „Verbrechern“ ein. Es wird nicht lange dauern, bis sie die Familien aufspüren wird, daher beginnen die Strelzyks und Wetzels mit der Planung eines neuen Fluchtversuchs. Doch die Zeit läuft ihnen davon…

Dass die Ereignisse wirklich stattgefunden und die Familien Strelzyk und Wetzel die Filmemacher mit Interviews unterstützt haben, verleiht der fast unglaublichen Geschichte Authentizität. Dazu tragen auch die zeitgenössische Ausstattung des Films, von den Autos über die Inneneinrichtung bis hin zu Mode und Frisuren, und die durchweg gute Besetzung bei: Friedrich Mücke und Karoline Schuch als besorgte Eltern, David Kross als entschlossener, aber vorsichtiger DDR-Gegner und Thomas Kretschmann als wunderbar bösartiger Oberstleutnant. Die thrillerartige Inszenierung nimmt Ballon allerdings etwas von diesem Realismus, lässt ihn mehr wie einen Genrefilm wirken als wie ein historisches Dokument – was ihm jedoch nicht schlecht bekommt, denn Herbig tappt dabei nicht in die Falle, die Geschehnisse von damals für eine fesselnde Inszenierung zu verharmlosen.

Vom ersten Moment an hält Herbig die Spannung hoch, und sie lässt in den folgenden 120 Minuten nur selten nach. Die Ballonfahrt inszeniert er als unglaublich spannende Tour de Force, die Kleinigkeiten als tödliche Gefahren in den Vordergrund rückt. In den weniger mitreißenden Sequenzen schafft er eine Atmosphäre des Misstrauens, wie man sie sich in jenen Tagen der DDR vorstellt. Der Zuschauer wird mit hineingezogen in dieses Misstrauen. Jeder Passant scheint einen zu beobachten, jeder scheint einen zu verfolgen.

Besonders wird das Gefühl des Zuschauers aber von der stark präsenten Filmmusik geleitet. Sie gibt die Stimmung der Szenen vor, erleichtert es dem Zuschauer, der Handlung zu folgen. In den besten Moment verstärkt sie die mitreißende Spannung (oder ist sogar hauptsächlich für sie verantwortlich), in den schlechteren Momenten gerät sie in Gefahr, die Szene in Kitsch abdriften zu lassen. Doch insgesamt hält Herbig eine gute Balance: Er nimmt sich Zeit, seine Charaktere als Menschen darzustellen, lässt aber trotzdem den Thriller nie zu kurz kommen.

Nur ein inszenatorischer Kniff misslingt, da er zu oft angewandt wird: Herbig legt für den Zuschauer zu oft bewusst falsche Fährten – nur Kleinigkeiten zwar, dafür in Fülle. So klingelt etwa das Telefon und die dröhnende Musik sowie die Inszenierung lassen Gefahr wähnen – dann ist es doch nur ein harmloser Anrufer. Oder die Familie wird von der Stasi gestellt – und dann ist es doch nur ein Traum gewesen. Die hohe Anzahl solcher in die Irre führender, aber leicht durchschaubarer Szenen führt leider dazu, dass der Clou am Ende des Films sofort durchschaut wird. Trotzdem gibt Herbig seinem Film einen gelungenen Schluss – es wird klar, dass das große Happy End erst 1989 kam.

Hätte man sich zu weit aus dem Fenster gelehnt, Ballon gar als deutschen Oscarbeitrag in Betracht zu ziehen? Schließlich ist die Inszenierung sehr amerikanisch, es geht um mutige Helden gegen einen übermächtigen Gegner und um die deutsche Geschichte. Aus einer Oscarnominierung ist zwar nichts geworden, aber dennoch: Die Hoffnung ist groß – auf die nächsten Filme von Michael Bully Herbig.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/ballon