Zwei Herren im Anzug (2018)

Heimat! Film!

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Aufgabe, die sich der Film- und Theaterschauspieler Josef Bierbichler für seinen Film „Zwei Herren im Anzug“ vorgenommen hat, ist gigantisch: Da verfilmt er nicht nur seinen eigenen, überaus umfangreichen Roman Mittelreich, was natürlich eine drastische Kürzung und Verschlankung (und viel Kill your Darlings!) bedeutet, sondern - als sei diese Aufgabe nicht bereits schwierig genug - übernimmt zudem auch noch die Regie (zum zweiten Mal nach „Triumph der Gerechten“ aus dem Jahre 1987) - und natürlich die Hauptrolle.

Und: Der Drahtseilakt gelingt und erschafft das Unikum eines Films, der irgendwo zwischen Herbert Achternbusch, Edgar Reitz und Oskar Roehler den Begriff des Heimatfilms radikal neu definiert.

Es ist der Sommer des Jahres 1984. Gerade haben der Bauer und Seewirt Pankraz (Josef Bierbichler) und sein Sohn Semi (Simon Donatz) die gerade verstorbene Ehefrau und Mutter Theres (Martina Gedeck) zu Grabe getragen und den Leichenschmaus hinter sich gebracht. Und so sitzen sie nun da, an einem warmen Sommertag - der eine niedergeschlagen, der andere voller Wut. Und weil beide Emotionen auf der Vergangenheit beruhen, entspinnt sich nun ein schmerzhafter Prozess des Redens und Erinnerns, der über drei Generationen und 70 Jahre geht und der zwei Weltkriege, die Besatzungszeit, das Wirtschaftswunder und viele andere große wie kleine Umbrüche umfasst. Erst stockend - denn die Ehefrau und Mutter, die bislang immer ausglich zwischen den beiden grundverschiedenen und einander doch sehr ähnlichen Charakteren, fehlt ja nun -, dann, auch bedingt durch den Alkohol, immer freier, kommen Vater und Sohn miteinander ins Gespräch. Außerdem sind da noch die beiden unbekannten Herren im Anzug, die immer wieder wie Stichwortgeber auftauchen und so als Zaungäste die Handlung begleiten und nicht eher Ruhe geben, bis auch das letzte Trauma, die letzte, vorher mühsam verdrängte schmerzliche Erinnerung aus dem Gedächtnis hervorgekramt und auf den Tisch gekommen ist.

Und so erfährt man beispielsweise auch vieles über Pankraz selbst, der von einer Karriere als Opernsänger träumte. Doch weil sein älterer Bruder als nervliches Wrack aus dem ersten Weltkrieg zurückgekehrt ist und später (wie ein ganzes Land) dem (auch antisemitischen) Wahnsinn verfällt, muss er den Hof und die Gastwirtschaft eher widerwillig übernehmen. Er übernimmt die ungeliebte Aufgabe wie eine Rolle, in die er sich immer mehr hineinfindet, bis er sie schließlich vollkommen verinnerlicht hat. Darin liegt ein Großteil der Tragik dieser wundervoll kantigen Gestalt, hinter deren rauen Schale man den weichen Kern durchschimmern sieht.

In prägnanten, dramaturgisch enorm verdichteten und immer wieder sämtliche Genregrenzen sprengenden Szenen, die sich jeweils durch ihre ganz eigene Form- und Farbsprache voneinander unterscheiden, erschafft der Film so ein Kaleidoskop, in dem Heimat nichts Gefühliges ist, sondern auch und vor allem etwas, an dem man leidet, an dem man sich abarbeitet und an dem man auch zu scheitern droht - gerade im traditions- und heimatbesoffenen Bayern. Horst Seehofer dürfte dies nicht gefallen.

Dennoch - oder meinetwegen auch gerade deshalb: Mit Zwei Herren im Anzug ist Josef Bierbichler ein Heimatfilm gelungen, wie man ihn bisher vielleicht noch nie im deutschen Kino gesehen hat: Rau, aber voller Herz, urbayerisch und sehr anarchistisch, brutal und zärtlich, voller Experimente und Lust an der Grenzüberschreitung. Wie sein Schöpfer, so ist auch dieser Film ein Solitär und auch von der Laufzeit her mit mehr als zwei Stunden Dauer ein widerspenstiges Monstrum. Aber eines, das man gerne haben kann.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/zwei-herren-im-anzug