Die Anfängerin (2017)

Die Eisprinzessinnen

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Nur ihr Hund scheint sie zu mögen: Dr. Annebärbel („ein Wort!“) Buschhaus (Ulrike Krumbiegel) wird insgeheim „Doktor Fürchterlich“ genannt, ist hart, unfreundlich und rigoros. Ihr Tag und Tun folgen einem energischen Plan, dabei scheint sie vor allem darauf bedacht zu sein, keinerlei Gefühle zu zeigen – weder gegenüber ihren Patienten noch ihrem Ehemann (Rainer Bock). Alles erscheint eine Spur zu kalt und kontrolliert, ihre Frisur, ihre Kleidung, ihre Mimik und sogar ihre sehr gerade Körperhaltung. Doch dann gerät alles aus den Fugen, als ihr Mann verkündet, er verlässt sie, weil er noch ein wenig leben will. Plötzlich erahnt man eine Spur Emotion – und sei es nur, dass Annebärbel nicht weiß, wie sie dieses Scheitern ihrer Mutter Irene (Annekathrin Bürger) beibringen soll. Zumal der Mann noch nicht einmal mit einer Jüngeren abgehauen ist ...

Die Anfängerin von Alexandra Sell ist die Geschichte einer Frau kurz vor der 60, die sich immer noch nicht den permanenten Demütigungen ihrer Mutter und damit deren Einfluss entziehen kann. Nichts, was Annebärbel tut, ist gut genug für Irene, die die Entscheidungen ihrer Tochter beständig kommentiert und kritisiert, deren Kompetenz anzweifelt und sich nun, in diesem Moment der vermeintlichen Schwäche, noch stärker in ihr Leben drängt, indem sie Annebärbel aus ihrem Alltag hinausdrängt. Plötzlich taucht sie wieder in der Praxis auf, die sie ihrer Tochter überlassen hatte, und stellt nicht nur Annebärbels Diagnosen infrage, sondern übernimmt gleich die Patienten. Doch jede weitere Demütigung bringt Annebärbels freudlos kontrollierte Existenz nur noch mehr ins Wanken – und schließlich landet sie zufällig vor einer Eishalle und erinnert sich an einen Traum, den sie einst für ihr Leben hatte.

Alexandra Sell verwebt in ihre späte Coming-of-Age-Geschichte eine Auseinandersetzung mit Tochter- und Mutterrollen, dabei brilliert Annekathrin Bürger als erbarmungslose Mutter, die anscheinend gegenüber ihrer Tochter zu keinerlei positivem Gefühl in der Lage ist. Auch Ulrike Krumbiegel überzeugt als Annebärbel, die ihren Traum vom Schlittschuh laufen nun entschlossen umsetzt. Dabei begegnet sie Jolina (Maria Rogozina), die Jugendmeisterin werden soll, ihren Vater nicht enttäuschen will und keine Mutter mehr hat. Hieraus entwickelt sich eine Freundschaft, die nicht nur die Beziehung Annebärbels zur Mutter spiegelt, sondern in der auch die Kinderlosigkeit der Ärztin subtil verhandelt wird.

Leider verläuft die Geschichte aber insgesamt in überwiegend allzu vertrauten Bahnen: Natürlich wird das Eiskunstlaufen zur Metapher des Lebens, natürlich vollzieht sich hier eine späte Emanzipation. Dabei fehlt bisweilen ein wenig die Grundierung innerhalb der Beziehungen, erfährt man nur sehr wenig über die Mutter und ihr Leben, auch wirkt die anfängliche Feindschaft innerhalb der Gruppe Hobbyläufer, der sich Annebärbel anschließt, allzu bemüht. Weitaus gelungener sind indes die kleinen Momente – die Annäherung in der Bahn zwischen Jolina und Annebärbel zum Beispiel, oder auch das langsame Öffnen von Annebärbel gegenüber anderen. Überzeugend ist auch die deutliche Anlehnung an die Geschichte des Eiskunstlaufens in der DDR, die nicht nur in dem Auftritt von Christine Errath, der einzigen Weltmeisterin aus Berlin, besteht. Jedoch können auch diese positiven Aspekte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film insgesamt zu sehr aufs Fernsehen ausgerichtet scheint: Dafür sprechen die formelhaften Charaktere, die bisweilen schnellen Wendungen und letztlich auch die Inszenierung des Eiskunstlaufens. Hier wäre stilistisch angesichts der guten Darstellerinnen mehr möglich gewesen.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/die-anfaengerin