Haunted (2014)

Wie eine Feder im Wind

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Haben wir uns mittlerweile mit dem Krieg und der Zerstörung in Syrien abgefunden? Sind wir abgestumpft gegen die Bilder des Leids, des Todes und der Verwüstung aus Aleppo und anderen Städten? Haben wir resigniert angesichts der stockenden Verhandlungen und der vielen Vereinbarungen, die ein ums andere Mal gebrochen werden? Auch Haunted, das Debüt der aus Syrien stammenden Liwaa Yazji weiß darauf keine Antwort – wie sollte es auch? Dafür aber gelingt es der Regisseurin mit ihren Impressionen, die meist schon um das Jahr 2012 herum entstanden, auf bedrängende Weise sicht- und spürbar zu machen, in welcher Situation heute viele Syrer leben – und zwar sowohl jene, die aus ihrer Heimat geflohen sind wie auch jene, die geblieben sind.
Entfernt stellen sich aufgrund des Titels Assoziationen zu Babak Anvaris im Iran-Irak-Krieg angesiedelten Horrordrama Under the Shadow ein, in dem mit dem Krieg das Böse in ein Haus eindringt und Geister beschwört, die zu der konkreten Gefahr durch Raketenbeschuss eine weitere, viel undinglichere, aber nicht weniger handfeste Bedrohung hinzufügen. Wobei freilich die transzendente Dimension hier abgelöst ist durch eine völlig ontologische: Nicht Geistwesen sind hier für die Schrecken verantwortlich, sondern die Menschen selbst. Und die Gespenster, die man in Haunted noch in den Ruinen der zerbombten Häuser vorfindet, sind die der ganz realen Vergangenheit all jener Leute, die entweder im Krieg ums Leben gekommen sind oder die ins Ausland flohen, um sich vor dem Granatenhagel in Sicherheit zu bringen.

"Als die Bomben kamen, war das erste, was wir taten, wegzulaufen. Später erinnerten wir uns daran, nicht zurückgeschaut zu haben. Wir haben uns nicht verabschieden können, von unserem Heim, unseren Erinnerungen, unseren Fotos und dem Leben, das in ihnen wohnte. Unbehaust wie diese Räume sind wir geworden, mit unseren hastig gepackten Sachen und den vergessenen Dingen, die uns nun heimsuchen …" – mit diesen Worten beschreibt die aus dem Theater stammende und heute in Berlin lebende Filmemacherin das, was sie zu diesem Film bewegte. Die Verunsicherung, die in diesen Worten mitschwingt, ist in fast jeder Einstellung des Filmes zu spüren – gepaart mit einem diffusen Schuldbewusstsein derer, die geflohen sind und die ihre Familien, Freunde und Bekannten zurückgelassen haben. Hinzu kommt die völlige Unklarheit darüber, ob sie jemals wieder in ihre teilweise völlig zerstörte Heimat zurückkehren werden können.

Erschwert werden diese überaus ambivalenten Emotionen durch äußere Lebenssituationen, die die Verwirrung und Komplexität weiter befeuern: Nicht mehr in Syrien, aber auch nirgendwo anders wirklich angekommen, befinden sich viele der Menschen, von denen Haunted erzählt, in einem Vakuum, einem geisterhaften Zwischenreich, das wie abgeschnitten zu sein scheint von der Gegenwart, die man hinter sich ließ, und von der Zukunft, die völlig im Unklaren liegt, ein Leben, das ganz gegenwärtig ist – und zwar auf die denkbar unangenehmste Weise. Ganz gleich, ob der Film von dem Ehepaar erzählt, das tapfer in seiner Wohnung in Damaskus ausharrt, obwohl die Einschläge immer näher kommen und die Vorräte sich dem Ende zuneigen oder von dem Mann, der mitten in einer archäologischen Ruine haust, weil die noch intakter ist als sein eigenes, dem Erdboden gleichgemachtes Haus: Es sind lediglich Provisorien, Fragmente, Bruchstücke von Leben, die die Kamera hier vorfindet, ein Leben im permanenten Durchgangsstadium, das verdeutlicht, wie unerträglich die Situation der aus Syrien Flüchtenden eigentlich ist.

Haunted ist ein Film, der nur schwer zu ertragen ist in all seiner Hoffnungslosigkeit, der von ihm gezeigten Zerstörung und Verheerung menschlichen Lebens, aber auch in seinen gestalterischen Mitteln, die immer wieder aus Handy-Videos und mitgefilmten Skype-Gesprächen bestehen. Ohne jeden Off-Kommentar muss der Zuschauer sich selbst einen Weg durch das Chaos bahnen, durch die Vielstimmigkeit der Interviewten – sicherlich nicht der einfachste Weg eines Zugangs zu einem Film, aber in diesem speziellen Fall wahrscheinlich der einzig mögliche, ganz sicher aber ein ungeheuer effektiver.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/haunted-2014