Under the Tree (2017)

Zu viel Schatten

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Oft sind es Kleinigkeiten, die ein Nachbarschaftsverhältnis urplötzlich belasten. Die zu einem großen Knall führen. Und ein einträgliches Zusammenleben unmöglich machen. Auch in Hafsteinn Gunnar Sigurðssons drittem Spielfilm beginnt ein Streit am Gartenzaun mit einer Bagatelle, die sich – wie man erwarten darf – allerdings zu einem handfesten Kleinkrieg auswächst. „Under the Tree“, der bereits 2017 in Venedig seine Uraufführung feierte, erweist sich als schnörkellos inszenierte, präzise und berechnend auf eine Katastrophe zusteuernde Tragikomödie, deren Figuren einiges an Zorn und Belastungen mit sich herumtragen. 

Eigentlich könnte alles so schön sein in der beschaulich-schmucken Vorstadtsiedlung. Verführerisch lugen die Sonnenstrahlen durch den Wipfel eines imposanten Baumes, der im Garten des in die Jahre gekommenen Ehepaares Inga (Edda Björgvinsdóttir) und Baldvin (Sigurður Sigurjónsson) thront. Nachbarin Eybjorg (Selma Björnsdóttir) ärgert sich jedoch über den Schatten, den das Ungetüm auf ihre Terrasse wirft, und drängt ihren deutlich älteren Mann Konrad (Þorsteinn Bachmann) dazu, das Problem endlich aus der Welt zu schaffen. Baldvin verspricht, den Baum zu stutzen, hat die Rechnung aber ohne seine verhärmte Gattin gemacht. Inga denkt nicht im Traum daran klein beizugeben und feindet die sportbegeisterte Eybjorg stattdessen bei jeder sich bietenden Gelegenheit offen an. Auf Beschimpfungen folgen erste Taten, und schon bald sind die Fronten so verhärtet, dass an eine friedliche Lösung nicht mehr zu denken ist. 

Parallel kämpft Ingas und Baldvins Sohn Atli (Steinþór Hróar Steinþórsson) um das Sorgerecht für seine kleine Tochter, nachdem ihn seine Gattin Agnes (Lára Jóhanna Jónsdóttir) beim Schauen eines selbst gedrehten Sexvideos erwischt und vor die Tür gesetzt hat. Atli beteuert, nicht fremdgegangen zu sein, und versucht, mit manchmal rabiaten Methoden, den Kontakt zu seinem Kind aufrechtzuerhalten. Da er durch den Rausschmiss notgedrungen bei seinen Eltern eingezogen ist, bleibt ihm der Streit mit den Nachbarn nicht verborgen. 

Der titelgebende Baum ist zwar der Stein des Anstoßes. Die Gründe für den eskalierenden Konflikt liegen jedoch woanders. Schon früh deutet Regisseur Sigurðsson an, dass Ingas Wut, ihre tiefsitzende Frustration und ihr garstiges Auftreten mit einem familiären Trauma zusammenhängen, das ihr Mann – zumindest nach außen – verarbeitet zu haben scheint. Eybjorgs Empörung über das allzu üppige Gewächs hat ebenfalls mit der eigenen Unzufriedenheit und unerfüllten Wünschen zu tun. Auch der Strang um Atli legt ein bereits lange vor sich hin köchelndes emotionales Minenfeld offen, bei dem das Sexvideo lediglich als Brandauslöser fungiert. 

Under the Tree wirft die Sorgen und die Probleme der Protagonisten mit eher dicken Pinselstrichen an die Wand und hält den Zuschauer nicht selten auf Abstand. In einigen Momenten bringt der Film den Schmerz, die Trauer und die Verzweiflung aber wunderbar pointiert zum Ausdruck. Exemplarisch etwa während eines beklemmenden Essens in Ingas und Baldvins Haus, das einen umgehend frösteln lässt. Daneben findet Sigurðsson immer wieder Zeit für rabenschwarze Spitzen, die der eigentlich hochgradig ernsten Geschichte über geplatzte Vorstadtträume, mangelnde Kommunikation und erkaltete Beziehungen eine unberechenbare Note verleihen. 

Dass der Streit nur unschön enden kann, ist von den ersten Minuten an absehbar, in denen die Musik bereits eine nervöse Grundstimmung erzeugt. Die Spirale der Auseinandersetzung hätte man sicher noch etwas stärker ausschmücken können. Und doch trifft einen das erschütternde, von einem bösen Missgeschick geprägte Finale mit voller Wucht. Auch wenn die Entwicklungen in ihrer Absurdität fast schon wieder komisch sind, bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Als Gewinner kann sich hier niemand fühlen. Daran lässt die letzte sarkastische Volte nun wirklich keinen Zweifel. 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/under-the-tree