Der Konzertdealer

Zwischen Tour und Tortur

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Wer zu Hause am Regal seiner Vinyl- oder CD-Sammlung steht, hört quasi meist schon automatisch die Musik auf den Platten bzw. zwischen den Plastikhüllen. In Gedanken wird man dann – erst recht als regelmäßiger Konzertgänger – nicht selten zurück zum letzten Gig seiner Lieblingscombo zurückgebeamt. Sei es nun Arcade Fire, Björk, Nick Cave, Rammstein oder meinetwegen auch Robbie Williams: Jedes Konzert hat – verquirlt mit den jeweiligen Zeitumständen – sozusagen auf ewig in der persönlichen Erinnerung seinen ganz einzigartigen Klang.
Allein die Männer hinter diesen inzwischen oftmals gigantischen Tourneen rund um den Globus sieht man nicht. Und erst recht keine Frauen in diesem hart umkämpften Businesszweig. Auch das erzählt der äußerst umtriebige Berliner Dokumentarfilm-Guerillakämpfer Sobo Swobodnik (SEXarbeiterin; BErliN – Aus diesem Trallala kommst du nicht raus) unterschwellig in seiner neuesten, gewohnt eigenwillig-experimentellen Arbeit Der Konzertdealer.

Scumeck Sabottka ist einer von ihnen – und dazu noch ein extrem erfolgreicher. Sein besonderer Riecher für junge Talente ist – nicht nur in Branchenkreisen – längst legendär. Er holte schon frühzeitig eine gewisse Band namens Red Hot Chili Peppers nach Europa, als sie noch kaum einer kannte. Ähnliches gilt für seine Zusammenarbeit mit Violent Femmes, Radiohead oder den Ramones. Seitdem läuft es für den Ex-Punk aus dem Ruhrgebiet, der 1980 als Wehrdienstverweigerer auf der wilden „Insel Welt-Berlin“ gestrandet war, künstlerisch wie kommerziell ziemlich geschmiert.

Aus dem einstigen Roadie und best boy einiger ambitionierter NDW- und New-Wave-Ikonen wie Malaria! oder Abwärts, der locker eine Gestalt aus dem reichlich kaputten Oskar-Roehler-Universum der frühen 1980er Jahre hätte sein können, ist in den vergangenen drei Jahrzehnten ein globaler Big Player geworden, dessen Wort nach wie vor etwas in der traditionell unbeständigen Musikszene gilt.

Wer aber nun auf gepfefferte Anekdötchen aus Sabottkas nunmehr gut 30-jähriger Karriere als Konzert- und Tournee-Promoter wartet, wird in Swobodniks leise daherkommender und zielsicher montierter Menschenstudie (Schnitt: abermals Manuel Stettner) herb enttäuscht werden. Ein, zwei kurze Sätze zu Musikgöttern wie Lou Reed. Dazu noch ein kleines Statement zum früheren Schock-Rocker Marilyn Manson. Das war es dann im Grunde auch schon mit der Plauderei aus dem Nähkästchen der alternativen Musiker-Elite.

Vielmehr blickt Der Konzertdealer zum ersten Mal überhaupt in die weitgehend abgeschottete Welt der „Concert Promoter und Artist Agents“, wie man das heute nennt. Ähnlich schon wie in Swobodniks preisgekröntem und hochreflektierten Schwarz-Weiß-Essay über die grausame NSU-Mordserie (6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage – Die Morde des NSU) erfordert auch dieser neue Film aus der Feder des stets unabhängig-eigensinnigen Regisseurs und Max-Ophüls-Preisträgers (Der Papst ist kein Jeansboy) ein hohes Maß an Konzentration wie Kontemplation.

Auf Originalmusik von beispielsweise Kraftwerk, auch diesen ikonenhaften Exportschlager aus Deutschland promotet Sabottka seit 1990 ununterbrochen, wird bis auf wenige Takte aus dem Off komplett verzichtet. Kein einziger Rammstein-Song erklingt, stattdessen hört man zeitweise Dino Chapmans nicht minder eigenwilliges Elektronik-Gefrickel, das jedoch insgesamt punktgenau zu den hochästhetischen Einstellungen von Bernie DeChant – und Swobodnik selbst – passt.

Dabei berichtet Sabottka nicht nur von den strahlenden Seiten jenes besonderen Gewerbes: Zweimal war er schon pleite, einmal hatte er Hepatitis B. Und trotzdem meldete er nie Konkurs an, sondern machte einfach weiter. Erst im Kleinen – und bald danach schon wieder auf der großen Bühne. Man nimmt dem Proträtierten durchaus seine echte Leidenschaft für die alternative Musik-Szene ab, trotzdem kommt man ihm als Protagonisten – und Menschen – nur selten wirklich nahe, was gar nicht so sehr an Swobodniks strengem Stil-Prinzip liegt.

Denn im Grunde ist Der Konzertdealer kein kunstvoll angelegter Imagefilm, sondern ein hochgradig experimenteller, aber durchaus verständlicher Dokumentarfilm über den Wandel einer ganzen Branche, die früher vom großen Plattengeschäft über alle Maßen lebte und heute zwangsläufig alles auf den Big Gig setzen muss. Anders lässt sich im internationalen Musik-Zirkus kaum noch Geld verdienen, wozu Sabottka gleich mehrfach und offenherzig Stellung bezieht. Sein Alltag besteht daher vor allem aus endlosen Mailings, Telefonaten, Verhandlungen und Skype-Gesprächen: Den großen Auftritt bekommen andere. So einfach ist das – und gleichzeitig so schwer.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/der-konzertdealer