Molly's Game - Alles auf eine Karte (2017)

Aaron Sorkins Game

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Da ist sie: Molly Bloom (Jessica Chastain), eine Frau, die ganz Amerika kennt. Einst war sie noch Anwärterin auf einen Platz im olympischen Team, drittbeste auf der Buckelpiste, doch nun kennen sie alle als die Molly Bloom, die große Poker-Partys veranstaltet hat, bei denen pro Nacht gern mal mehrere Millionen über den Tisch gehen. Wie zum Teufel eine junge Frau aus Idaho zur Pokerkönigin der Ostküste werden konnte, genau das erforscht Aaron Sorkins Molly’s Game. Und das auf seine sehr typisch sorkinsche Art.

Monologe, Kommentare, Voice-Over – Sorkin ist ja der Meister der schnellen, punktgenauen und gern zynischen Kunst der sprachlichen Vermittlung ohne Punkt und Komma. Und seine Figur Molly geht hier ebenso in die volle Sprachoffensive, wie seine ProtagonistInnen seiner früheren Werke. Es ist sein Markenzeichen und hier ist es auch Zeichen von Molly Blooms Klugheit. Molly ist schneller als alle anderen, sie durchschaut Menschen und Systeme, sie analysiert blitzschnell.

So schnell, dass der Film manchmal sogar Graphen, Bilder und kleine Erklärvideos braucht, damit man als ZuschauerIn überhaupt hinterherkommt. Denn Poker ist kein Glücksspiel, erklärt uns Molly, es ist vor allem eins: eiskaltes Kalkül. Und damit kennt sie sich aus, wurde sie doch seit ihrer Kindheit darauf getrimmt. Gewinnen ist es, worauf Molly trainiert wurde, und das ist es auch, was sie jetzt antreibt.

Eigentlich sollte es nur ein Jahr Pause sein, das sie sich zwischen dem Ende ihrer Sportlerlaufbahn und dem Anfang ihres Jura-Studiums gönnt. Doch weil ihr ehrgeiziger Vater (Kevin Costner) nichts von Pausen hält, dreht er ihr den Geldhahn zu. Und so nimmt Molly, die in L.A. einfach mal Spaß und gutes Wetter haben will, jeden Job an, den sie kriegen kann. Unter anderem als persönliche Assistentin eines schmierigen Hollywood-Produzenten. Diesem soll sie dabei helfen, eine geheime Poker-Runde zu organisieren. Aber wer in L.A. Poker spielt, ist kein kleiner Fisch, und so findet sich Molly bald in einem Raum mit Hollywoodstars, Silicon-Valley-Größen und Milliardären wieder, denen das Geld in Millionenbeträgen nur so aus der Hand fließt. Im Hintergrund: Molly, die das Geld zählt und die Häppchen reicht.

Doch damit ist sie nicht zufrieden. Sie hat keine Lust mehr, für andere zu performen und das nette, sexy Accessoire im Hintergrund zu sein. Also lernt sie. Was sind Blinds? Was ist ein River, ein Full House? Was braucht es, um eine perfekte Pokerspiel-Veranstalterin zu sein? Die Antwort auf die letzte Frage findet sie schnell: es muss einen ultimativen Einsatz geben. Etwas, was Mann sich nur erarbeiten kann, was er niemals kaufen kann. Und somit wird sie die unnahbare Molly, für die man viel tun muss und der es egal ist, wer man ist und wie viel Geld man hat, um eine Platz an ihrem Pokertisch zu bekommen. 

Es geht also auch bei Molly’s Game um Sorkins Lieblingsthemen: Geld, Geschäfte und Macht. Vor allem letzteres hat sich der Drehbuchautor und Regisseur ja zur Genüge bei Männern angeschaut, die Strukturen analytisch auseinandergenommen und wieder zusammengebaut, um herauszufinden, wie Macht funktioniert und vor allem wie mächtige Menschen funktionieren. Nun tut er dies zum ersten Mal mit einer weiblichen Figur und vermag auch hier hervorragend und vor allem mit viel Verve und einem guten Spritzer Ironie in die Tiefe zu gehen. 

Doch man bemerkt eine Diskrepanz. Sorkins Interesse gilt vor allem der erfolgreichen Molly, doch die Geschichte der Molly Bloom ist keine des durchgehenden Erfolgs. So gut sie über die Jahre auch war, sie verliert doch eines Tages die Kontrolle über ihr Leben und Geschäft. Zum einen selbstverschuldet, weil sie Drogen nimmt. Zum anderen weil immer wieder Männer ins Spiel kommen, die nicht ertragen können, dass sie selbstbestimmt ist und teilhaben oder sie vernichten wollen. Hier wird Molly’s Game, ob gewollt oder nicht, auch zu einer Studie von Macht und Gender und Mollys Geschichte zwangsweise zu einer, in der es um die Grenzen der patriarchalen Gesellschaft, den Versuchen diese zu durchbrechen und deren Konsequenzen geht. 

Doch diese verwundbare Molly, die nicht mehr die Kontrolle hat und die dann von der Staatsanwaltschaft mit 17 Polizisten und großem Trara festgenommen wird, die wird nicht mehr so gründlich analysiert. Sorkin entzieht seiner Figur in dem Moment, in dem sie ihre ökonomische Macht verliert, ebenfalls die Macht über sich. Und beendet damit, ganz wie die Männer im Film, eigenwillig die Emanzipationsgeschichte dieser Figur.

Dabei sind die Momente, in denen sie mit ihrem Anwalt (Idris Elba) spricht, dem einzigen, der ihr in Sachen schnelles Denken und Reden auf Augenhöhe begegnen kann, die menschlichsten und eigentlich auch interessantesten des Films. Hier entschwindet die Hochglanz-Patina, hier ist ein Mensch, der einem Menschen gegenübersteht. Oder zumindest könnte das hier sein, doch da zieht Sorkin abermals eine Geschlechtergrenze und verrät Molly Bloom gänzlich. 

Anstatt systemkritisch zu arbeiten und weiterhin zu analysieren, wie Macht nicht nur entsteht, sondern auch vergeht, zieht sich der Film plötzlich auf eine psychologisierende Ebene zurück. Bloom werden mit ihrem Anwalt und ihrem Richter – ausgerechnet - Vaterfiguren an die Seite gestellt, die dieser Self-Made-Frau in der Krise plötzlich erklären, wer und was sie eigentlich ist und dann großzügig über ihr Schicksal entscheiden. So fällt der Thrill einer bestehenden Gerichtsverhandlung diesen paternalen Gesten zum Opfer, obwohl hier viel mehr Spannung herauszuholen gewesen wäre. Und damit nicht genug: auch ihr Vater muss wieder auftauchen, der ihr, in seiner Funktion als Vater und Psychotherapeut (Freud würde es lieben) erstmal erklärt, wer sie ist und warum sie getan hat, was sie getan hat. Wohlgemerkt ist das ein Mann, der an diesem Punkt schon seit Jahren nicht mehr am Leben seiner Tochter teilgenommen hat. 

Diese Entmündigung ist es letztendlich, die Molly’s Game, so gut der Film ansonsten ist, doch ein wenig zum Straucheln bringt, denn er verrät seine Figur, ihre spannende Geschichte und vor allem ihre ganz eigene und eigenartige Emanzipationsbewegung letztendlich für eine billige Psychologisierung. Und die ist so sehr im Klischee verhaftet ist, dass sie nicht einmal bemerkt, wie sie aus einer Geschichte der weiblichen Selbstbestimmung, die damit auch feministisch gelesen werden kann, am Ende einfach ein albernes daddy issue macht und damit sich selbst völlig untergräbt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/molly-s-game