Gaza Surf Club

Das Meer als Sehnsuchtsort und Gefängnis

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Knapp 2 Millionen Menschen leben im Gazastreifen, jenem Stückchen Land zwischen Israel und Ägypten, von dem immer wieder in den Nachrichten zu hören ist. Weil dieser schmale Küstenstreifen mit einer Größe von gerade mal 360 Quadratkilometern seit dem Jahre 2006 von der radikalislamischen Hamas kontrolliert wird, kontrolliert Israel (teilweise zusammen mit Ägypten und der Europäischen Union) die Außengrenze. Es herrscht ein Embargo zu Wasser, zu Lande und in der Luft, wie der Vorspann von Gaza Surf Club erklärt. Dieser kleine Flecken Erde am östlichen Mittelmeer ist de facto ein gigantisches Freiluftgefängnis, dessen gesamte Infrastruktur von ausländischer Hilfe abhängig ist. Perspektiven für die Menschen, die hier leben, gibt es keine.


Oder vielleicht doch? Gaza Surf Club erzählt die Geschichte einer Gruppe, die für sich selbst eine zumindest kleine Form der Ablenkung von der allgegenwärtigen Niedergeschlagenheit gefunden hat. Anhand von drei Menschen und drei Schicksalen erzählen Philipp Gnadt und Mickey Yamine von der Sehnsucht nach Freiheit, der Tristesse des Alltags und von einem kurzen Moment der Freiheit auf Brettern, die die Welt bedeuten.

Sechs Wochen lang waren die beiden Regisseure im Gaza-Streifen unterwegs, ihre Protagonist_innen haben sie teilweise schon bei Recherchen vorher, teilweise aber auch erst vor Ort kennengelernt. Bisweilen merkt man dem Film ein wenig die Beengung an, in der er entstanden ist: Wenn die Bilder der Surfer mit den Impressionen einer verfallenden Gegend kontrastiert werden, dann drückt sich in diesem harschen Kontrast, in der staubgrauen Tristesse kollabierter Gebäudereste, die ganze Hoffnungslosigkeit und Absurdität des Nahostkonflikts aus. Und wären da nicht die Protagonist_innen mit ihrem unerschütterlichen Optimismus, dann könnte man wie viele Menschen in jener Region gänzlich verzweifeln.

Da ist beispielsweise die 15-jährige Sabah, die schon als Kind wegen ihrer Fähigkeiten auf dem Surfbrett in die Schlagzeilen geriet. Doch nun, als Jugendliche, soll sie plötzlich ihren Sport nicht mehr ausüben dürfen – weil es für eine junge Frau „unschicklich“ sei, wie die politische Führung findet. Dabei wäre ihr Vater durchaus erfreut und willens, seine Tochter in ihrem Talent zu unterstützen. Und genau das tut er auch, wenngleich freilich so, dass die Öffentlichkeit davon nichts mitbekommt.

Oder Ibrahim, ein junger Mann, der die Idee zu dem Titel gebenden „Gaza Surf Club“ hatte und der für seinen Traum hart kämpfen muss, weil es hier in der Isolation der Region keinerlei Unterstützung, sondern nur Hindernisse und Beschränkungen gibt. Das nötige Equipment beispielsweise ist nicht auf legalem Wege zu bekommen, und um die Bretter, die die Welt bedeuten, selbst herstellen zu können, bedarf es der richtigen Materialien und einiger Kenntnisse, über die Ibrahim (noch) nicht verfügt. Zwar könnte, wie ein Besucher aus den USA verspricht, ein Praktikum im Surferparadies Hawaii das nötige Know-how vermitteln, doch an das nötige Visum zu kommen, erweist sich als verdammt schwer. Außerdem: Kehrt wirklich einer freiwillig in das Gefängnis Gaza zurück, wenn er dann nach vielen Mühen und Entbehrungen im Schlaraffenland des Surfens weilt? Und so endet Gaza Surf Club mit einem ungewissen, aber angesichts des Themas und der Lage im Gaza-Streifen logischen Ausblick in die Zukunft: Zum Zeitpunkt der Beendigung der Dreharbeiten ist Ibrahim noch nicht wieder in seine Heimat zurückgekehrt, ob der Club für die Kids und Surfverrückten überhaupt jemals zustande kommen wird, ist so unklar wie alles hier.

Und zuletzt gibt es da noch den Fischer Abu Jayab, der früher selbst einmal zu den Surfern von Gaza gehörte und sich heute als eine Art Ziehvater der kleinen Bewegung sieht. Er klagt über die erheblichen Rückgänge beim Fischen und führt dies vor allem darauf zurück, dass die Zone, in der das Fischen erlaubt sei, drastisch eingeschränkt worden sei. Früher, als er und seine Kollegen noch bis zu 20 Seemeilen hinausfahren durften, erlaubte der Fang ein zumindest erträgliches Einkommen, heute reicht es kaum mehr für das Nötigste. Sein Vater, so sagt er, der selbst Fischer war, habe ihn stets vor dem Meer gewarnt und gesagt, er solle sich eine andere Arbeit suchen. Doch irgendwie hat ihn das Meer nie losgelassen. Tag für Tag kehrt er hierher zurück, schaut hinaus und sieht in den Surfern etwas, nachdem er, nachdem sich jeder hier sehnt: Dass dieses verdammte Meer endlich einmal keine Gefängnismauer mehr wäre, sondern das Versprechen und die Verheißung der Freiheit.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/gaza-surf-club