Körper und Seele (2017)

Die Liebe unter Hirschen

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

In Körper und Seele (auf der Berlinale 2017 war der Film noch unter dem internationalen Titel On Body and Soul zu sehen) erzählt die Altmeisterin des ungarischen Kinos Ildikó Enyedi eine Liebesgeschichte – langsam, still, ein wenig mystisch. Das Magisch-Geheimnisvolle haftet vielen ihrer Werke an, in Körper und Seele bestimmt es gleich den ersten Ton des Films: Glockenklänge sind zu hören vor schwarzer Leinwand und signalisieren von Anfang an, dass hier der Realität, wie wir sie kennen und proklamieren, noch eine weitere Ebene hinzugefügt wird, die das Schicksal zweier Menschen verbindet und ihnen ihre Seelenverwandtschaft aufzeigt.

Die ersten Bilder zeigen Hirsche, die gemächlich in einem winterlichen Wald umherstreifen, nach Futter suchen, während Schnee fällt. Auch hier legt der Film einen weiteren Ton fest: den ruhigen, stillen, dem der gesamte Film zugrunde liegt. Körper und Seele erzählt eine Liebesgeschichte, die sich ganz langsam entfaltet, und von zwei Menschen, die sich erst langsam vortasten und in ungeschickten, weil schüchternen Gesten ausprobieren müssen, sich dem anderen zu nähern. Das Bild der Hirsche im Wald steht sinnbildlich dafür: Sie bewegen sich bedächtig nebeneinander her, nahe beieinander und halten doch Abstand. Aber diese Sequenzen sind nicht nur Sinn-, sondern erweisen sich später als Traumbilder.

Der Ort der Handlung allerdings ist alles andere als romantisch oder magisch, sondern Realismus pur: ein Schlachthaus. Hier werden Rinder betäubt, gehäutet, mit großen Zangen in kleinere Stücke geschnitten, auf ihren Fettgehalt hin überprüft – oder, wie Endre (Géza Morcsányi) sagt, weiterverarbeitet. An dieser Stelle ist On Body and Soul fast dokumentarisch und vor allem körperlich; die Seele findet sich dann in der Geschichte zwischen Endre und Mária (Alexandra Borbély).

Mária ist neu in der Firma, sie ersetzt die ehemalige Qualitätsprüferin, die sich im Mutterschutz befindet, und stößt vom ersten Tag an auf kritische Blicke um sie herum. Mária ist still, Einzelgängerin, bewegt sich steif und verzieht keine Miene, hat einen starren, fast gleichgültigen Blick. Vielleicht sei sie aber auch nur unsicher, meint Endre, der die Frau vom ersten Moment an mit anderen Augen anschaut als die anderen und mehr in ihr sieht als die einsilbige, steife Qualitätsdoktorin. Die Tonebene des Films signalisiert hier auch schon, dass Endre etwas für sie empfindet, dass er sich von ihr angezogen fühlt, ohne zu wissen warum.

Die Annäherungsversuche zwischen den beiden sind schüchtern und zaghaft von beiden Seiten. Und doch scheint auch Mária von Endre in irgendeiner Weise fasziniert. Der Film nimmt (zumindest den Großteil des Films über) beide Blickwinkel ein und ergreift weder für die eine noch für die andere Figur Position. Endre unterhält sich bisweilen mit den Menschen um ihn herum, meist mit dem Personalchef (Zoltán Schneider), und erzählt, was ihn bewegt. Mária hingegen verarbeitet das Erlebte – wie kleine Kinder es gerne tun – im Spiel mit Salzstreuern oder Playmobilfiguren.

Überhaupt ist Mária in vielerlei Hinsicht noch ein Kind und nie erwachsen geworden, was sich auch daran zeigt, dass sie nach wie vor zum Kinderpsychologen geht und die Überweisung an einen Therapeuten für Erwachsene ablehnt. Ihre Stärke ist ihr phänomenales Gedächtnis: Sie kann sich alles merken und mathematisch einsortieren, zerpflückt Gespräche in einzelne Sätze und kann wiedergeben, wie der 17. Satz lautet, den Endre ihr gegenüber ausgesprochen hat. Mária liebt, nein, braucht Ordnung und hat eine klinisch weiße Wohnung, in der alles seinen Platz hat. Mit Gefühlen und Berührungen allerdings tut sich die junge Frau schwer.

Erst als Mária und Endre durch einen Zufall herausfinden, dass sie des Nachts dieselben Träume träumen, wird ihre Sehnsucht nach Nähe größer, haben sie doch einen Seelenverwandten im jeweiligen Gegenüber gefunden. Auch für Endre wäre die Beziehung zu Mária ein Neuanfang, denn eigentlich hat er sich schon damit abgefunden, alleine zu bleiben. Während sie sich ihre Träume erzählen, kommen sie sich zwar Stück für Stück, aber nur in ganz kleinen Schritten näher; mehr lässt ihr Alltag, ihre unterschiedlichen Lebensweisen nicht zu. On Body and Soul erzählt hier von Extremfällen, die mit sich alleine, aber nur schwer mit anderen Menschen zurechtkommen und das erst (wieder) lernen müssen. Bei Mária ist die Entwicklung offensichtlich, bei Endre subtiler und dennoch zu erkennen, auch und gerade im Umgang mit seinen Mitarbeitern.

Überhaupt hat es Ildikó Enyedi geschafft, aus ihren Darstellern ein wunderbar subtiles Schauspiel herauszulocken. Mimik und Gestik sind reduziert, in minimalen Gesten oder leicht lachenden Augen spiegelt sich das Erlebte, die Veränderung, Unsicherheit wie Freude. Das ist ebenso schön wie wohltuend zu sehen, dass Geschichtenerzählen auch so funktionieren kann. Enyedi, die 1992 selbst in der Jury der Berlinale saß, schafft Gefühle, Stimmungen und vor allem grandiose Bilder: Sie erzählt in vielen Großaufnahmen, fängt im Detail ein, was den Alltag der Menschen bestimmt, aber auch das Besondere. Das sind nicht immer schöne Bilder, aber doch gute. Enyedi geht nah ran, manchmal näher, als einem lieb ist, und schafft gerade dadurch ein Stück Künstlichkeit in einer sonst eher realistischen Erzählweise.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/on-body-and-soul