Die Spur (2017)

Im Banne der Natur

Im Süden Polens an der Grenze zu Tschechien liegt ein herrliches Fleckchen Erde. Hier in den Bergen leben die Menschen ein einfaches und bescheidenes Leben: Man richtet sich nach dem Lauf der Jahreszeiten und Monate, geht nach einem strengen Reglement und genauen Bestimmungen auf die Jagd nach den verschiedenen Wildtieren, ist gottesfürchtig und naturverbunden – die einen mehr, die anderen weniger.

Die pensionierte Bauingenieurin Janina Duszejko (Agnieszka Mandat-Grabka) unterrichtet trotz ihres Ruhestandes die Kinder in der Dorfschule in der englischen Sprache und führt ansonsten ein zurückgezogenes Leben mit ihren beiden Hündinnen. Als die beiden Tiere eines Tages spurlos verschwinden, vermutet sie, dass die Jäger – unter ihnen sämtliche Dorfhonoratioren – etwas damit zu tun haben könnten, doch von den Hündinnen fehlt weiterhin jede Spur. Dann taucht plötzlich der erste Leichnam auf, Duszejkos Nachbar, ein berüchtigter Wilderer, liegt tot vor seinem Bett. Und er wird nicht der letzte Mann sein, der im Verlauf des kommenden Jahres den Tod finden wird. Nacheinander sterben der Polizeichef der Gegend, der Besitzer einer Fuchsfarm und schließlich der Bürgermeister, und es scheint, als könnte es einen Zusammenhang zwischen den Morden geben.

Das Merkwürdige ist dabei: Es sind alles Jäger, die sterben – und in jedem Todesfall gibt es Hinweise darauf, dass wilde Tiere für den Mord verantwortlich sein könnten. Das ist natürlich Wasser auf die Mühlen der fanatischen, widerspenstigen und auch ein wenig eigenwilligen Tierliebhaberin Duszejko, für die Tiere und Menschen gleichberechtigte Lebewesen sind, was in der Gegend selbst vom Pfarrer misstrauisch beäugt wird. Klar, dass der Verdacht auf sie fällt, doch kann diese Frau, die keiner Fliege etwas zuleide tut, wirklich dafür verantwortlich gemacht werden?

Pokot beginnt mit majestätischen Bildern: Nebel hängt über den Bergen, während die Kamera die Täler und Höhen erkundet, bevor sie fast nach Art eines Raubvogels auf zwei Jeeps herabstößt, die eine Anhöhe hinaufjagen und schließlich bei einer frühmorgendlichen Versammlung von Jägern hart abbremsen. Es ist der furiose Auftakt für einen Öko-Thriller, der zugleich den Mikrokosmos einer ländlichen Gemeinschaft seziert und dieser fast schon archaischen Gruppe von machtbewussten Männern eine wunderbar starke und hinreißend verschrobene Frau entgegensetzt. Von Anfang an verstehen es Agnieszka Holland und ihre Hauptdarstellerin Agnieszka Mandat, diese Figur ebenso doppelbödig wie vielgestaltig anzulegen: Janina Duszejko, die es hasst, mit ihrem Vornamen angesprochen zu werden und deren Nachname von allen Männern beharrlich zu "Duszenko" verunstaltet wird, ist zweifelsohne eine Tierschutz-Fanatikerin, die zudem geradezu besessen von Astrologie ist und sich gerne in seltsame Theorien verrennt. Und doch scheint sie in der ländlichen, stark patriarchal geprägten Gemeinschaft diejenige zu sein, die mehr fühlt, mehr versteht, mehr sieht als alle anderen. In der gleichen Weise, wie sie sich für Tiere einsetzt, hat sie auch ein Auge für die Schwachen und die Außenseiter der Gegend: Sie kümmert sich um die junge "Good News" (Patrycja Volny), die jugendliche Geliebte des Dorfgauners Wnętrzak, ebenso wie um den epileptischen Informatiker Dyzio (Jakub Gierszal), sie sieht nach dem einsamen Nachbarn Matoga (Wiktor Zborowski) und sammelt im Wald den tschechischen Insektenkundler Boros (Miroslav Krobot) auf. Diese Gruppe von Exzentrikern bildet schließlich ein Gegengewicht zum Mainstream, eine Art Widerstandsnest, das auf seine Weise für ausgleichende Gerechtigkeit sorgt.

Mit wundervollen Bildern, der pointiert eingesetzten Musik von Antoni Komasa-Łazarkiewicz und einem klugen Drehbuch (nach dem Roman Der Gesang der Fledermäuse von Olga Tocarzuk), das viele Ebenen, Subtexte und Motive einflicht, ist Agnieszka Holland ein vielschichtiger und spannender Öko-Thriller gelungen, der zugleich als widerspenstiger Heimatfilm sowie als verschmitzter und fast schon satirischer Kommentar zu Themen wie dem derzeitigen Zustand der polnischen Gesellschaft und Fragen zum Verhältnis von Mensch und Tier funktioniert und der zudem einige der hinreißendsten Charaktere der diesjährigen Berlinale bereithält. Schade ist einzig, dass der Film am Ende dann doch der Intelligenz des Zuschauers nicht so ganz vertraut und Erklärungen gibt, die manches offenbaren, was lieber im Nebel der Wälder und unter dem winterlichen Schnee der Berge verborgen geblieben wäre.

(Festivalkritik Joachim Kurz)

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/spoor