Machines

Von Leinen und Leiden

Eine Filmkritik von Björn Helbig

Dass unsere schöne neue Welt und ihre Produktionsverhältnisse ihre Schattenseiten haben, dürfte für die meisten, die diesen Text lesen, nicht nur nichts Neues sein. Für günstige Produkte nehmen wir Westler stillschweigend die Ausbeutung von anderen in Kauf. Rahul Jain ist in seinem Dokumentarfilm Machines weniger an den bekannten Fakten interessiert, als vielmehr an der Ästhetik der Produktionsbedingungen, die er am Beispiel einer gigantischen Textilfabrik im indischen Gujarat zeigt. Wie ergiebig der Film über seine zweifelsohne intensiven und eindrucksvollen Bilder hinaus ist, darüber lässt sich streiten.
Man könnte Machines sicherlich wunderschön finden, wenn sein Inhalt nicht so deprimierend wäre: Da rackern sich spindeldürre Arbeiter im Inneren einer Maschine für unsere Kleidung ab – und sind dabei selbst nicht viel mehr als Maschinen, die funktionieren müssen, damit betuchte Inder und verwöhnte Westler günstig an ihre Klamotten kommen. Die Maschine respektive Textilfabrik ist ein Labyrinth aus Hallen und Gängen, in denen es aus Bottichen brodelt und sich feine Stoffe in langen Bahnen zu flauschigen Stofftürmen aufhäufen; und mittendrin Menschen, die geschäftig wie Ameisen schwere, farbenprächtige Bündel von A nach B tragen oder, erschöpft nach der dritten 12-Stundenschicht, selbst wie müdes Tuch an Ort und Stelle in sich zusammensinken.

Das Prinzip von Jains Film hat man indes bald verstanden: Es geht um Menschen, die arbeiten. Sie arbeiten aus unserer Sicht unter unmenschlichen Bedingungen. Rahul Jain fängt die Atmosphäre in der Textilfabrik von Gujarat mit einem besonderen Blick für die Schönheit der Monotonie der Arbeitsabläufe sowie des hingebungsvollen Leidens der Arbeiterschaft ein und so erfindet er nebenbei auch noch das Genre des Industrialization Porn. Und so ist Jains Film wie die Kritik am Kapitalismus mittlerweile selbst schon wieder ein Produkt eben dessen Logik. Und man kann sich, ohne die Ausbeutung der Arbeiter zu relativieren, sicherlich wundern, dass Jain so strikt bei der einen Textilfabrik bleibt, ohne den Blick über die Fabrikmauer, auf das Land oder die Globalisierung zu werden. Dieses Beharren macht den Film zwar sympathisch intim, doch kommt man nicht umhin, sich neben den eindrucksvollen Bildern mehr soziale Zusammenhänge zu wünschen.

Schon als der Mensch vom Jäger und Sammler sesshaft und zum Ackerbauern wurde, änderte sich sein Leben wie das von Adam und Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies. „Verflucht sei der Acker um deinetwillen“, sprach der HERR zu Adam, „mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang“ – und genauso kam es. Man sieht, die Arbeitsbedingungen waren für das Gros der Menschheit schon lange vor der industriellen Revolution nicht gerade rosig. Es ist noch nicht lange her, da war Arbeit mehr als nur das halbe Leben. Nun ist das Leben eines Fabrikarbeiters in einem Schwellenland bestimmt härter als das eines Westlers, der in den Genuss aller arbeitsrechtlichen Errungenschaften seiner Kultur kommt, sein Dasein ist allerdings ebenfalls durch kapitalistische Algorithmen bestimmt. Auch anderswo werden Menschen immer mehr Maschine – und umkehrt. Dass Jain hier ganz in seiner Fabrik bleibt und nicht weitere Bedeutungsebenen seines Filmtitels Machines erforscht, ist deswegen ein wenig schade. So bleibt er gleich in mehrfacher Hinsicht an der Oberfläche der Phänomene.

Doch auch die hat sicherlich ihren Reiz. Der Film, der ganz ohne Musik auskommt und sich, von ein paar Interviewpassagen abgesehen, ganz auf Rhythmen und Sounds des Fabrikinneren konzentriert, bietet einen intensiven Einblick in das Leben der indischen Proletarier – auch wenn sich hier bald schon die Szenen wiederholen und rein inhaltlich wenig Neues ans Licht kommt. Die wahrscheinlich rührendste und gleichzeitig spannendste Szene des Films ist, als ein Kind bei der Arbeit vor Müdigkeit kaum die Augen aufhalten kann, wird doch hier ein Stück Utopie in dem Massenproduktionswahnsinn immerhin angedeutet. Die Lösung für die menschliche Misere nach dem Sündenfall im Allgemein, nach der Sesshaftwerdung und ein paar tausend Jahre später nach der Industrialisierung im Speziellen, liegt möglicherweise nicht in der Gründung von Gewerkschaften, sondern im Luzidieren neuer Welten jenseits der Konsumgesellschaft. Doch ob hier eher der Rezensent fantasiert oder der Film von sich aus den Stoff, aus dem solche Träume sind, beisteuert, darüber lässt sich –– wie gesagt – streiten. Ein sehenswerter Film ist Machines in jedem Fall.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/machines