Berlin Rebel High School

Fürs Leben und vom Leben lernen

Eine Filmkritik von Falk Straub

Einst drückte Regisseur Alexander Kleider hier selbst die Schulbank, nun setzt er der Berliner Schule für Erwachsenenbildung, kurz SFE, ein dokumentarisches Denkmal. Berlin Rebel High School ist ein flammendes Plädoyer für ein anderes Lernen an deutschen Schulen.
Wer die Adresse nicht kennt, geht achtlos daran vorbei. Etwas versteckt in einer Etage eines Kreuzberger Hinterhofs hat die Schule für Erwachsenenbildung (SFE) 1980 eine neue Heimat gefunden. Auf der Dachterrasse des alten Fabrikgebäudes steht in großen weißen Zahlen "08/15" an der Wand, doch nichts an dieser Schule ist alltäglich. Das zeigen schon die ersten Bilder, wenn die Kamera von den Beats auf der Tonspur vorangetrieben mal be-, mal entschleunigt durch die Flure fährt. So bunt(gemischt) wie die Wände sind Personal und Schüler. Im Jahr 1973 aus einem Streik an einer privaten Bildungseinrichtung als gemeinnütziger Verein hervorgegangen, ist die SFE heute die einzige basisdemokratische Schule im deutschsprachigen Raum. Dort gibt es weder einen Direktor noch Noten. Die Schüler bezahlen ihre Lehrer. Mehr als 12,50 Euro brutto die Stunde ist da nicht drin. Alle Entscheidungen, auch über die Schwerpunkte im Unterricht, fallen gemeinsam. Ambitioniert ist der Stoff dennoch, schließlich finden die Prüfungen extern statt.

Regisseur Alexander Kleider war selbst an der SFE. Nach einer Ausbildung zum Erzieher machte er dort 2000 sein Abitur. Für seinen Dokumentarfilm hat er sechs Absolventen drei Schuljahre lang begleitet. Warum sie ihren Abschluss mit Verspätung machen, hat ganz unterschiedliche Gründe. Mal waren es Autoritätsprobleme, mal der Konkurrenzdruck, mal Faulheit, Drogen und Langeweile, nicht selten Mobbing und Diskriminierung. Kleider stellt seine Protagonisten steckbriefartig vor, bevor sie erst als Voice-over, später direkt im Bild, bei sich zu Hause, bei den Eltern oder an ihren alten Schulen von sich, ihren Schulwechseln und -abbrüchen und von ihren Zukunftsträumen sprechen. Manche sind mehr, manche weniger sympathisch. Doch selbst mit den weniger Sympathischen fiebert man schnell mit. Auch weil Kleider seinen Film in drei Phasen einteilt und die verbleibende Zeit bis zum Abschluss spannend herunterzählt. Was alle abseits des Abiturwunschs eint: Die SFE ist ihre letzte Chance. Außer der Berliner Schule nimmt sie sonst keiner mehr.

Ein wenig wirkt das alles wie eine große Wohngemeinschaft, wenn Schüler und Lehrer erst zusammen Toiletten schrubben, dann Brötchen schmieren und sich während der anschließenden Vollversammlung in Grundsatzdiskussionen verheddern. Und wenn gemäß den drei Phasen auf die erste Begeisterung die Ernüchterung folgt, sich die Reihen zusehends lichten und die anwesenden Schüler fortan keine Rücksicht mehr auf die dem Unterricht fernbleibenden nehmen wollen, dann versprüht die SFE nur noch wenig Rebellion, ja wirkt geradezu bieder. Was diese Schule trotz allem anders macht, sind der Umgangston und die Solidarität, zu denen der Klassenverbund selbst nach solchen Streitigkeiten stets zurückfindet.

Berlin Rebel High School ist ein flammendes Plädoyer für eine Reformierung unseres Bildungssystems und seiner Schulen. Dementsprechend undifferenziert kommt Kleiders Film daher – und tut vielen staatlichen Schulen und deren Lehrern, die landauf, landab hervorragende Arbeit leisten, Unrecht. Denn selbstredend hat der vernünftige Umgangston an der SFE auch viel damit zu tun, dass die Porträtierten allesamt das Alter von 20 Jahren längst überschritten haben. Auch wäre die freie Selbstbestimmung bis hin zu den Lehrinhalten nur schwer in unteren Klassenstufen denkbar.

In seinem Kern spricht Kleiders Film jedoch etwas Wahres aus, wenn er die Frage nach dem Schicksal derer stellt, die in unserer Gesellschaft – aus welchen Gründen auch immer – durchs schulische Raster fallen. Hier ist die Arbeit dieser Berliner Bildungseinrichtung und ihrer Pädagogen gar nicht hoch genug anzurechnen. Durch seine Protagonisten, Schüler wie Lehrer, stellt Berlin Rebel High School, mal ganz direkt, mal indirekt, zudem die Frage, wie wir mit den Sensiblen in unserer Gesellschaft, wie wir mit Mobbing und Diskriminierung umgehen, in welchem Klima wir lehren, welche Werte wir an kommende Generationen vermitteln wollen. Wenn es darum geht, fürs Leben und nicht nur für die Schule und irgendwelche internationalen Vergleiche zu lernen, wenn es darum geht, solidarisch und nicht egoistisch zu denken und zu handeln, dann ist man auf der SFE goldrichtig.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/berlin-rebel-high-school