Ein Weg (2017)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Martin und Andreas sind ein Paar. Seit langem schon. Sie kennen sich. Sie kennen ihre Zärtlichkeiten. Sie vermissen einander, wenn sie sich nicht sehen. Aber irgendetwas scheint verloren gegangen zu sein in all den Jahren. Vielleicht die Fähigkeit, miteinander zu sprechen. Mit großer Behutsamkeit und mit großer Einsicht begleitet Chris Miera in Ein Weg, sein Abschlussfilm der Filmuniversität Babelsberg, diese beiden Männer, die sich lieben, auf ihrem Weg in die schmerzvolle Trennung.

Andreas ist Schreiner. Martin ist beruflich unterwegs. Per Skype sprechen sie abends miteinander; viel zu sagen haben sie sich nicht. Sie sind schon so lange zusammen! Bei Martins Heimkehr ist die Wiedersehensfreude groß. Doch ein Lebensabschnitt geht auch zu Ende, Max, ihr Sohn – für den der eine Papa, der andere Dad ist – ist erwachsen geworden und geht auf Weltreise. Nun sind beide auf sich gestellt. Und irgendwie, ganz leise, hat sich die Entfremdung eingeschlichen. Ein Urlaub an der Ostsee kann auch nichts mehr ändern.

13 Jahre früher, beim Kennenlernen, waren sie schon einmal an der Ostsee. Ebenfalls im Herbst. Der erste Urlaub zweier Verliebter. Inklusive einem ganz privaten Eheversprechen in einer Seemannskirche. Man kennt sich noch nicht, tastet sich aneinander an. Martin lernt Max kennen, Andreas' Sohn, damals sechs Jahre alt. Und er steht ihm bei in der Beziehung zur Ex-Frau. Sie richten ein gemeinsames Leben ein.

Neun Jahre später ist eine Krise da. Nicht primär der Liebe, nein: Andreas' Werkstatt läuft nicht so gut. Und Martin, Mitarbeiter in der Gärtnerei, erhält eine große Chance – Übernahme des Ladens. Wenn nur Geld da wäre … Beide sind gestresst, und beide sind jeweils anders gestresst. Der eine auf der Suche nach Aufträgen, der andere auf der Suche nach einer Arbeitsstelle. Beide gehen auf verschiedenen Wegen, aber noch sind diese Wege parallel. Und Max ist auch noch da, der bekommt die Streitereien mit. Dabei geht der Ärger nicht nur auf die Psyche, sondern auch auf die körperliche Gesundheit, und das schweißt wieder zusammen …

Chris Miera erzählt von ganz normalen Menschen in ganz normalen Situationen und in einem ganz normalen Miteinander. Konflikte nach außen gibt es keine – dass hier zwei Männer miteinander leben ist völlig normal, dass sie ein Kind haben, auch. Beinahe episch wird ihr Weg miteinander geschildert – darin ist Ein Weg dem Cannes-Gewinner Blau ist eine warme Farbe nicht unähnlich. Freilich gibt es hier keine expliziten Sexszenen: Miera konzentriert sich mehr auf die Innerlichkeit, auf die Verbundenheit der beiden Liebenden. Und er wendet eine ganz eigene Erzählweise an: Die Geschichte von Andreas und Martin wird über viele Jahre, über die gesamte Zeit ihres Zusammenseins erzählt, in ausgewählten Schlüsselsequenzen ihrer Beziehung – und sie wird erzählt mit quasi dokumentarischer Technik, mit kleinem Team, improvisiertem Spiel, mit einer Kamera, die nicht weiß, was als nächstes passiert, und mit zwei Schauspielern, die ganz direkt aufeinander eingehen.

Die Produktionsbedingungen, sprich: das Budget steht der Erzählzeit von 15 Jahren etwas entgegen – die Darsteller sehen in den Episoden nicht unterschiedlich alt aus; es wurde offenbar lediglich im Winter gedreht, auch, wenn vielleicht einmal eine Sommerszene sein sollte. Doch die Erzählweise des inszenierten Realismus ist so stark, dass der Zuschauer leicht über diese Hürden – die ja nicht in der Hand des Filmemachers liegen – springen kann. Schwieriger ist es mit dieser Kastanie: Die wird von Miera als Unterpfand der Liebe eingeführt; nun ist aber das sogenannte "symbolisch aufgeladene Objekt" ein wahrhaft filmischer Dramaturgie-Trick, der der Lebensnähe, die der Film ansonsten ausstrahlt, etwas im Weg steht: Wie kommt die Kastanie in Martins Hand, wenn der nach vollzogener Trennung tränenüberströmt wegfährt aus dem gemeinsamen Haus?

Doch jenseits dessen haben wir mit Ein Weg ein starkes Stück verdichteten Beziehungsalltags vor uns, eine Art German Mumblecore ohne Komik, in der die Tragik des Lebens, die Ironie, dass keiner etwas dafürkann, der Weg zu einer Entscheidung aufgezeigt wird, die vielleicht die dümmste des ganzen Lebens war. Vielleicht aber war diese Entscheidung auch die einzig mögliche, um überhaupt noch miteinander und mit sich leben zu können: Getrennt, aber vereint in den langen Jahren der Gemeinschaft, gebannt auf unzähligen Fotos und verewigt in der Erinnerung - der gemeinsame Weg ist die gemeinsame Zeit …

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/ein-weg